Wer ab und zu meinen Twitterfeed liest (hallo, ihr zwei), hat in letzter Zeit sicher bemerkt, dass ich mit großer Freude und viel Popcorn den Shitstorm um @erzaehlmirnix verfolgt habe. Diesen Titel trägt neben ihrer Twitter-Identität auch der regelmäßige Webcomic von Autorin Nadja Hermann („Fettlogik“), der sich im weitesten Sinne mit gesellschaftlichen Themen auseinandersetzt. Und mit großäugigen Strichmännchen. Oder wie ein nicht näher bezeichneter Kulturkritker es eventuell ausgedrückt hat:

„Die Reduktion der Bildsprache, von Hermann auf die Spitze getrieben, schafft in ihrem Bildwerk Raum für eine rasierklingenscharfe Analyse der jedem Menschen innewohnenden humanen Absurdität“

Quelle: C:\user\gamergateblog\docs\drunk_writing 

Da ihre Comics hier und da nicht den Vorgaben der feministischen Prüfstelle für Unterhaltung entsprachen und sie trotz freundlicher Aufforderung (wahrscheinlich so was wie: „Wäre ja schade, wenn deinem Webcomic was zustoßen würde.“) nicht auf das Privileg verzichten wollte, weiterhin ungefiltert ihre eigene Meinung zu sagen, entstand in den letzten Wochen besagter Shitstorm. Unter den Beteiligten finden sich die üblichen Tugendfurien und Laser-Uschis sowie die immer dienstbereiten weißen Ritter (die oft nicht einmal wussten, dass sie gerade dabei waren, eine Frau verbal zusammenzustauchen). Die Gegner des humorvollen Umgangs mit der Realität haben sogar eine Pastebin erstellt, in der die Vergehen der Künstlerin im einzelnen nach Gedankenverbrechen sortiert aufgeschlüsselt sind. DenHaag kann neben dem Reservieren einer Zelle auch schon mal Plakate drucken lassen:“Behauptung von Sexismus gegen Männer“ oder „Versuch, feministische Arbeit / Positionen lächerlich zu machen“, das gibt sicher gute Einschaltquoten. Frau Hermann, die „Bestie aus dem Internet“ (Büld, Stockholm) sollte sich schon mal namentlich passende Anwälte suchen, ist ja heute der letzte Schrei bei Leuten, die „Rassismus und Bagatellisierung von rechter Ideologie“ (so die Liste) betreiben.

Besonders viel Freude hat mir dieser ganze Zirkus gemacht, weil der Beschuss der imperialen Flotte die kleine Rebellenfregatte Erzählmirnix nicht zerstört, sondern auf wundersame Weise deren Antrieb und Schildgeneratoren aufgeladen hat. Will sagen, nach ein paar Tagen moralinsaurer Kommentare war die Anzahl von @erzaehlmirnix Twitter-Followern nicht etwa gesunken, wie es die Initiatoren der „wohlmeinenden Aufmerksamkeitskampagne“ eigentlich vorhergesagt hatten, sondern hatte sich grob verdreifacht. Neben der Unterhaltung und der wachsenden Popularität eines guten Comics hat uns das Ganze noch wunderschöne Wortkreationen wie „Bevormundungsfeminismus“ und „Femimiminismus“ beschert. Da auch Nadja Hermann auf Twitter nicht den Eindruck macht, dass ihr die Anwürfe der Radikalen besonders viel ausmachen also ein wirklich positiver Shitstorm. Viel Spaß hatte ich auch am Schreikrampf einiger Berufsbetroffener, als beim #dare2015-Kongress in Berlin jemand wagte, die Autorin im Sinne der Kunstfreiheit und des Humors in Schutz zu nehmen.

Ähnlich wie bei einer gewissen Konsumentenrevolte haben sich auch hier natürlich Trolle und Trittbrettfahrer ausgetobt, ich kann mir vorstellen, dass so manches Lob für Frau Hermann bitterer zu lesen war als eine handfeste, „ehrliche“ Beleidigung. Mit einem offenen Konzept hat man nicht nur Freiheiten sondern geht auch die Gefahr ein, von Leuten unterstützt zu werden, die ideologisch am gegenüberliegenden Ufer wohnen. Nach der Kritik der radikalen Feministinnen wollen sich die Leute, die sowieso Beef mit denen haben, mit einem verbrüdern, obwohl man mit ihnen ideologisch wenig bis nichts zu tun hat.  Das könnte ich jetzt natürlich auch mir selber vorwerfen, warum schreibe ich auf einem Blog zu #GamerGate über die ganze Sache?

Es sind die dem Shitstorm folgenden Artikel von verschiedenen Frauen, die mich wieder mal darin bestätigen, das der einzige Weg zur gütlichen Einigung über Internet- und Outrage-Kultur nicht in den Händen der Radikalen liegt, sondern bei uns: Wenn die Moderaten aller Lager zusammenarbeiten können wir diese Menschen vielleicht davon abhalten, die gesamte Kultur ihrem Sterilisationsbad zu unterziehen. Erzählmirnix selbst schreibt:

„Ich war überrascht von der Masse an Feministinnen, die ganz klar sagten dass sie diesen Bevormundungsfeminismus nicht mitmachen und zwar nicht jeden einzelnen meiner Comics geauso sehen (Überraschung: Die einzige Person, die alle 800 Comics exakt genauso sieht bin vermutlich… naja, nichtmal ich selbst, denn vermutlich gibt es auch einige, die ich nach Jahren anders sehe) aber meine Comics dennoch gerne lesen. Mir war ehrlich gesagt zuvor nicht bewusst, wie viele feministische Leser ich habe, trotz der Themenüberscheidungen.

Für mich brachte das einiges an Denkstoff und eine deutliche Auflockerung meiner Sicht auf “den Feminismus”. Übrigens auch etwas das mehrfach von Männerrechtlicher Seite in den letzten Tagen geäußert wurde.

Es ist also eine merkwürdige, und mit Sicherheit vollkommen unbeabsichtigte Entwicklung, dass der radikalfeministische Shitstorm nun nicht nur meine Twitterfollowerschaft fast verdreifacht hat, die Leserzahlen insgesamt sich seither verdoppelt haben und auch meine Bücher nochmal einen deutlichen Aufschwung bekamen, sondern sich durch die Aktion auch gemäßigte Männer-und Frauenrechtler untereinander angenähert haben und sich von dem Bevormundungsfeminismus abgrenzen.“

Nadja Hermann

Als Antwort darauf verfasste die Autorin Onyx auf dem Blog Gedankensalat einen Post, der mich nachdenklich gemacht hat:

„Dieses Phänomen, jede Äußerung, jede Haltung, so differenziert und selbstreflektorisch sie auch sein mag, immer noch unbedingt negativ zu interpretieren, ist typischer und fester Bestandteil der antifeministischen Ideologie, denn da muß alles, einfach alles, was von Feministinnen kommt, abgewertet werden. Auch eine feministische Bloggerin, die sich durch neugieriges Nachfragen selbst zur Angriffsfläche anderer Feministinnen macht. Alles andere wäre ja pudelmäßig und doof.

Und genau diese Haltung macht meine eigene Position umso stärker, mich nicht auf die eine oder andere extreme Seite zu stellen, sondern einfach nur mein Ding zu machen und zu verteidigen und zu kritisieren, was immer mir richtig erscheint. Es macht mir einfach klar, dass ich mich nicht von Feministinnen, die zwar fleißig die “innerfeministische Solidarität” predigen, aber dies offenbar nur dann laut fordern, wenn sie selbst im Fokus von Angriffen stehen, und die eine andere Meinung gleich als persönlichen Angriff verstehen und entsprechend reagieren, uneingeschränkt vertreten fühlen muß.

Und es bestärkt erst Recht meine Sicht auf Antifeministen, die nicht in der Lage sind, auch mal zu erkennen, ab wann sie sich mit ihrer undifferenzierten Anti-Haltung nur noch selbst im Weg stehen, und darum einfach als Diskussionspartner längst nicht mehr ernstzunehmen sind.“

Gedankensalat

Ich und viele andere Kritiker sind keine Antifeministen, momentan geht es uns darum, dass sich eine Strömung des Feminismus die Macht anmaßt, den gesellschaftlichen Diskurs einschränken zu wollen. Ich stehe nicht gegen feministische Ideen per se, sondern gegen die autoritären Anteile in den Vorschlägen von Anne Wizorek oder Julia Schramm, die allen Ernstes eine Veränderung des Volksverhetzungsparagraphen fordern, der fortan speziell Frauen vor „Cybergewalt“ schützen soll, was mir extrem unangemessen erscheint, nicht zuletzt da gerade radikale Feministinnen gegenüber Gegnern auch keine sprachliche Gnade walten lassen.

„Und genau diese Haltung macht meine eigene Position umso stärker, mich nicht auf die eine oder andere extreme Seite zu stellen, sondern einfach nur mein Ding zu machen und zu verteidigen und zu kritisieren, was immer mir richtig erscheint.“

Gedankensalat

Unterschreibe ich. Mir wurde auf Grund meiner Dialogbereitschaft auch schon von Unterstützern des Hashtags #GamerGate nahegelegt, doch mit meinen SJW-Freunden spielen zu gehen. Und hier greift, was du sagst: Die Menschen, die über einen Grundstandard an Anstand und Respekt gegenüber dem Andersdenkenden verfügen, die wollen, dass die Geschlechter so gleichberechtigt sind wie möglich und für die Werte wie die Freiheit der Kunst nicht verhandelbar sind, bilden eine deutlich größere Gruppe als die Extremisten auf beiden Seiten der Diskussion.

Wir sollten den Extremisten in beiden Lagern eine gemeinsame Reise in die Wüste spendieren. Den Idioten, die etwas gegen Frauen in der Spieleindustrie haben – von denen ich persönlich bei #GamerGate noch keinen getroffen habe – und den jammernden Fernseh-Feministinnen. Beide machen das Bild von „Feminismus“ und „Gameskultur“ in der Öffentlichkeit zu Lachnummer, wahlweise mit einer idiotischen Petition, um Anita Sarkeesian und Zoe Quinn wegen angeblichen Landesverrats vor Gericht zu bringen, oder mit dem immer gleichen Runterbeten ausgesuchter, falsch interpretierter Fakten zum „Gender-Paygap“und der Forderung nach „Ampelfrauchen“.

Und wenn man sich die Reaktionen der Radikalen im Fall Erzählmirnix ansieht, werden auch die Erlebnisberichte von Unterstützern der Konsumentenrevolte #GamerGate deutlich glaubhafter, in denen sie von Beleidigungen, Twitter-Sperrung, Anrufen beim Arbeitgeber, Messern und Spritzen in der Post sowie den „üblichen“ Drohungen berichten. Wenn einem die von der Polizei bestätigten Bombendrohungen gegen #GGinDC und SPJAirplay nicht gereicht haben.

Ich will in Ruhe Spiele spielen dürfen, deren Schöpfer während und vor der Produktion nicht durch ein selbsternanntes Konsortium von besseren Menschen beurteilt und für den kleinsten wahrgenommenen „Fehler“ öffentlich an den Pranger gestellt werden, bis sie das Endprodukt soweit verändern, dass es den progressiven Zensoren gefällt. Ich möchte auch weiterhin Filme und Bücher sehen, lesen und öffentlich kommentieren dürfen, in denen das „N-Wort“ vorkommt, wenn es passt – ohne das Moralapostel aus dem Internet bei meinem Chef anrufen und ihm sagen, er müsse dringend einen Rassisten entlassen. Ich will das Kunst höher bewertet wird als die verletzten Gefühlen einzelner. Ich will Radikale kritisieren dürfen ohne gleich ein Anti-Irgendwas zu sein – und ohne den Staatsanwalt fürchten zu müssen. Ich habe keine Bock drauf, nur für mein Geschlecht als „potentieller Täter“ bezeichnet zu werden.

Ich sehe nicht, wo sich das mit einem nicht-radikalen Feminismus beißen sollte. Wenn jene moderaten Feministinnen und Feministen, die keine Bevormundung wollen, jetzt bitte auch mal bei #GamerGate näher hinschauen und nach Gemeinsamkeiten suchen würden, statt ausschließlich den Artikeln und der Darstellung unserer Kritiker Glauben zu schenken, könnten wir irgendwann in der Zukunft genug Leute zusammen haben, um dem Treiben mit positiver Gegenkultur Einhalt zu gebieten. Wer will schon in einem radikalfeministischen 1984 leben.

Update: Nach dem Hinweis in den Kommentaren habe ich den Abschnitt über „Gedankensalat“ berichtigt.