Der große Tag ist da!
Lange haben die Gamer, die sich unter dem Hashtag #GamerGate versammelt haben auf diese Chance gewartet. Ein öffentliches Forum, in dem sie sich gegen die seit einem Jahr andauernden Vorwürfe der Presse wehren können, bei den revoltierenden Spielern handele es sich um einen Haufen frauenfeindlicher, zu jeder Schandtat bereiter, weißer, übergewichtiger Männer. Eine Debatte zwischen Gegnern und Befürwortern sollte es sein, die Michael Koretzky von der ‚Society of Professional Journalists‘ organisieren wollte. Aber schon dieses Vorhaben erwies sich als unmöglich: Von der Gegenseite hat sich niemand bereit erklärt, an der Diskussion teilzunehmen, obwohl Koretzky den Teilnehmern sogar die Übernahme von Reisekosten angeboten hat.
Koretzky blieb, trotz dieses Rückschlags und dem nicht immer einfachen Umgang mit den notorisch misstrauischen Vertretern der Konsumentenrevolte, auf Kurs und änderte kurzerhand das Format: Am 15. August sollten im Koubek-Center in Miami nun nicht mehr Abgeordnete von #GamerGate und deren Opposition debattieren, die Gesprächspartner würden aus den Reihen der SPJ und der Spieleindustrie kommen.
Die Auswahl fiel auf Lynn Walsh, Journalistin und Mitglied in der Ethik-Komission der SPJ, Ren LaForme , Dozent am Poynter Institut für Journalismus und nach eigener Aussage nicht nach Ren aus ‚Ren und Stimpy‘ benannt, sowie Derek Smart, einen Indie-Entwickler der ersten Stunde: Sein Opus Magnum, Battlecruiser 3000 AD, stammt von 1995 .
In der ersten Runde der Konferenz sollte es um die ethischen Verfehlungen gehen, die #GamerGate der Spielepresse vorwirft. Als Vertreter von #GamerGate sollten Ashe Schow, Journalistin beim Washington Examiner, Allum Bokhari, der ‚einzige Liberale bei breitbart.com‘ und Spieleentwickler Mark Ceb Beispiele vortragen, die Walsh, LaForme und Smart anschließend bewerten würden.
Redet ihr etwa über Gawker?
Den Anfang macht Ashe Schow mit dem Fall Max Temkin. Temkin, der Entwickler des Kartenspiels ‚Cards against Humanity‘ war nach Anschuldigungen einer College-Bekanntschaft, sie 8 Jahre zuvor vergewaltigt zu haben, von der Spielepresse und einigen Eiferern vorverurteilt und an den Internet-Pranger gestellt worden. Als die neutralen Journalisten nach der Quelle fragen, fallen zum ersten Mal die Namen Gawker und Kotaku. Walsh und LaForme verdrehen die Augen, Koretzky fragt: ‚Was hältst du von Gawker?‘. Walsh antwortet: ‚Ich würde sie sicher nicht zitieren‘. Ein absolutes Highlight des Panels ist Mark Cebs lakonischer Humor. Koretzky: ‚Kotaku ist eine der größten Spiele-Webseiten‘, darauf Ceb: ‚Unglücklicherweise!‘. Leider geht eine Entscheidung, inwieweit ein Bruch der Ethikregeln vorliegt in einer Diskussion über Richtigstellungen und Gegendarstellungen unter. Lynn Walsh stellt klar, dass diese gut sichtbar und sofort zu veröffentlichen sind. Ren LaForme gibt zu bedenken, dass solche Richtigstellungen im Internet eher untergehen und übersehen werden, als in den ‚alten‘ Medien und mahnt Medienkompetenz an: ‚Wenn es auf Gawker steht, ist es Boulevard, das weiß man‘. Derek Smart glaubt, dass es nicht die Journalisten sind, die in solchen Fällen versagen, sondern die Chefredakteure, die sie nicht ausreichend führen und, falls nötig, vor sich selbst schützen.
Dann ist Zeit für Publikumsfragen und so für einen der Höhepunkte des Panels: Paolo Munoz, auch bekannt als @GameDiviner, ein sehr moderater und um Vermittlung bemühter Vertreter der Konsumentenrevolte, hält eine kurze Brandrede und sagt einen Satz, der ihn in der Geschichtsschreibung des Hashtags unsterblich machen wird: ‚Gawker ist nicht nur unethisch. Sie sind bereit, Leben zu zerstören‘. Er weist darauf hin, dass es die Angst vor der Macht von Dreckschleudern wie Gawker ist, die viele Unterstützer von #GG in der Anonymität verharren lässt.
Der zweite Fall, von Mark Ceb vorgetragen, befasst sich mit Patricia Hernandez, einer Autorin für Kotaku, die Artikel über die Spiele von Freunden und Mitbewohnern geschrieben hat, ohne diese Verhältnisse offen zu legen. Zwar wurden die Artikel nach Beginn der Konsumentenrevolte mit Disclaimern versehen, aber die Reaktion des Chefredakteurs Stephen Totilo lässt seine Entschuldigungen wie Lippenbekenntnisse klingen. Die Reaktion von Lynn Walsh ist klar: Es sollte keine persönlichen Beziehungen zwischen einem Journalisten und seiner Quelle geben. Sie führt aus, dass ein einzelner Mitarbeiter mit einem Interessenkonflikt die Arbeit eines ganzen Teams zunichte machen kann, weil der Artikel in den Hintergrund tritt, während nur über die ethische Verfehlung gesprochen wird. Mark will so weit gar nicht gehen und denkt, dass die Gamer mit der Offenlegung einer persönlichen Beziehung zu Beginn eines Artikels völlig zufrieden wären. Als Ren LaForme feststellt, #GamerGate habe in diesem Fall ‚einen Slam Dunk hingelegt‘, brandet Applaus auf. LaForme ist sichtlich irritiert, er hat offensichtlich keine Ahnung wie dankbar ihm die Gamer nach einem Jahr in der metaphorischen Wüste für diesen Eimer kaltes Wasser sind.
Fall 3, wieder von MarK Ceb vorgetragen beschäftigt sich mit der Entlassung von Jeff Gerstmann. Der war von seinem damaligen Arbeitgeber, GiantBomb, vor die Tür gesetzt worden, weil er dem Spiel ‚Kane & Lynch 2‘ in seinem Review nur die Note 6/10 gegeben hatte. Ihm war zum Verhängnis geworden dass der Publisher des Spiels zur gleichen Zeit eine lukrative Anzeigenkampagne bei GiantBomb gebucht hatte. Nachdem in Rückfragen kurz die Quellen für die Story abgeklopft worden sind, hakt Koretzky ein: Ihm wurde in den vergangenen Wochen die Frage nach dem Unterschied zwischen Journalismus und Kritik im Bezug auf ethische Regeln gestellt. Lynn Walsh antwortet, was sie eigentlich zu jeder Frage sagt: ‚Ich würde so etwas nicht machen‘ – in diesem Fall dem Druck von Anzeigenkunden nachgeben. Sie sagt aber auch, dass man einen Arbeitgeber braucht, der bereit ist, eine solche Linie mit zu tragen. Koretzky dirigiert die Diskussion weiter: ‚Gibt es im Internet einen Unterschied zwischen Bericht und Meinung? Wie können Meinungen klar gekennzeichnet werden?‘. Mark Ceb antwortet knapp: ‚Meinung‘. Dann rückt Koretzky mit der Frage heraus auf die er hingearbeitet hat: ‚Wäre die Wut der Gamer über die ‚Gamers are Dead‘-Artikel geringer gewesen, wenn sie klar als ‚Meinung‘ gekennzeichnet gewesen wären?‘. Die einhellige Antwort des Podiums, wenig verwunderlich: Nein.
Michael Koretzkys nächste Frage: Was können Leser tun, wenn sie eine Verfehlung wie die angesprochenen entdecken? Lynn Walsh schlägt vor, dass zu tun, was GamerGate tut: Aufdecken, sich an die SPJ wenden und versuchen Öffentlichkeit herzustellen. Sie findet das ‚völlig in Ordnung‘. LaForme fügt hinzu, dass man aufhören sollte entsprechende Seiten zu lesen. Koretzky bittet #GG darum, nicht gleich mit Kanonen auf Spatzen zu schießen und schlägt eine direkte Zusammenarbeit zwischen Spielepresse und SPJ vor: Ethikseminare, Vorschläge zur Offenlegung von Interessenkonflikten, vielleicht sogar einen Award für besonders ethischen Spielejournalimus. Das Podium stimmt überein, das eine solche Zusammenarbeit sicher hilfreich, aber nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zur Besserung der Verhältnisse wäre.
#Doritogate bei der SPJ
Ren LaForme nutzt die Gelegenheit um Werbung für sein Buch zu machen. Koretzky scherzt in Anspielung auf einen weiteren ‚Skandal‘: ‚Zu jedem Buch gibt es eine Tüte Doritos‘. Dann wird LaForme ernst und spricht die Hakenkreuze und Aids-Wünsche von Trollen im Chat an, der den Stream begleitet: ‚Diese Leute werden jetzt mit euch assoziiert, wie geht ihr damit um? Das sind genau die Dinge, wegen denen ihr einen schlechten Ruf habt‘. Leider wechselt Derek Smart das Thema, bevor es zu einer Diskussion kommt, hier wurde eine Chance verpasst.
Koretzky stellt als nächstes die Idee eines Ombudsmanns für Spielejournalismus in den Raum: Jemanden der über die Berichte der Spielepresse berichtet, eine Art Presserat für Gaming-Websites. Mark Ceb bringt in diesem Zusammenhang William Usher und David Auerbach ins Spiel, die er als Spielejournalisten ohne enge Verbindungen zur Industrie sieht, aber Koretzky schwebt eine formalere Institution ohne ‚GameGate-Stallgeruch‘ vor.
Vor der Schlussrunde gibt es Zuschauerfragen. ‚Können die Seiten wie Kotaku oder Gamasutra das Vertrauen der Konsumenten zurückgewinnen? Wie lange würde das dauern?‘. Mark Ceb glaubt, dass es sehr lange dauern würde und das die Websites die ‚Rädelsführer loswerden‘ müssten. Das Köpferollen kommt bei Koretzky nicht gut an. Bokhari nennt den ‚Escapist‘ als Beispiel für eine Webseite, die es geschafft hat mit einer Entschuldigung und neuen Ethikregeln das Vertrauen ihrer Leser zurück zu gewinnen.
Dann ist es Zeit für die Schlussrunde. Ashe Schow macht den Anfang, sie ist froh, das die Vertreter der SPJ die Interessenkonflikte als ethische Verfehlungen bestätigt haben und hofft das die Diskussion jetzt in einer breiteren Öffentlichkeit stattfinden wird. Allum Bokhari hofft, das mehr Menschen nach Airplay begriffen haben, dass der Mythos von der Hassgruppe #GamerGate Nonsens ist. Mark Ceb ermutigt junge Menschen, die Spaß am Schreiben und an Videospielen haben, sich für eine Karriere in der Spielepresse zu engagieren: ‚Es gibt Bedarf an guten Spielejournalisten!‘
Ren LaForme ist weiter skeptisch was #GamerGate angeht, aber froh, dass er die ethischen Probleme im Spielejournalismus bestätigen konnte – die gäbe es dort wie in jedem anderen Bereich. Lynn Walsh weist noch einmal auf die Angebote der SPJ hin und empfiehlt im Zweifelsfall ein Gespräch mit der ‚Ethik-Hotline‘ der Gesellschaft. Außerdem sollten die Gamer im Gespräch mit der Presse vielleicht lieber den freundlichen, respektvollen Ansatz wählen statt voll auf Angriff zu schalten, um ihren Worten mehr Gewicht zu verleihen. Derek Smart setzt einen deutlichen Schlusspunkt:’Das hier hört nicht auf, bis die Spielejournalisten aufhören die Spieler – und vor allem #GamerGate – als Hassgruppe zu bezeichnen. Das habe ich von Tag eins an gesagt!‘.
Link zur Aufzeichnung des Morgen-Streams
(Audio ist am Anfang unterirdisch, wird aber besser!)
Soweit meine Zusammenfassung des Morgenpanels. Das Nachmittagspanel sowie alles zum explosiven Ende und eigene Gedanken zu dem, was da alles passiert ist, folgen im Laufe des Tages (wenn’s ein wenig dauert: Das hier ist eine One-Man-Show und ich bin jetzt seit über 24 Stunden wach… erstmal ist Schlaf angesagt).