Versuch einer Einführung
Eine Frage, tausend Antworten. GamerGate ist eine Hassbewegung . GamerGate ist ein Hashtag. GamerGate ist eine Konsumentenrevolte. GamerGate ist rechts. GamerGate ist links. GamerGate ist zu Ende. GamerGate hört niemals auf. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Fest steht, dass unter dem Hashtag Gamergate seit einem Jahr eine Schlammschlacht tobt. Glaubt man den Medien, sind dort Beleidigungen und Todesdrohungen an der Tagesordnung. Glaubt man den Unterstützern der Konsumentenrevolte geht es vor allem um die Liebe zum Medium Videospiel. Die Fronten sind festgefahren, die Feindbilder schwarz/weiß und scheinbar unabänderlich. Twitteruser finden sich unversehens auf Blocklisten wieder, Trolle legen rote Heringe und Köder aus, findige Geschäftemacher drucken T-Shirts und schreiben Bücher. Für Außenstehende scheint das Durcheinander unentwirrbar zumal die Zuverlässigkeit der Quellen der jeweiligen Gegenseite regelmäßig von beiden Parteien angezweifelt wird.
Die nächste Frage ist dann meist: Wie ist es dazu gekommen? Auch hier gehen die Meinungen auseinander, eine Analyse würde den bescheidenen Rahmen dieser kurzen Einführung sprengen, aber da mich diese Frage sehr interessiert, werde ich ihr sicher noch den ein oder anderen Post widmen. Das Video ‚#GamerGate in 60 Sekunden‘ (die Übersetzung hat netterweise OldGamer erledigt) stammt aus der Frühzeit des Konflikts, das englische Original vom Youtuber LeoPirate erschien am 05. Oktober 2014.
Hier wird die Entstehung des Konflikts von Seiten der GamerGate Unterstützer beleuchtet: Zoe Quinn, eine Spieledesignerin wird von ihrem Ex beschuldigt, mit verschiedenen Personen aus der Spielebranche geschlafen zu haben, darunter mindestens ein Journalist von Kotaku. Spieler in Foren, auf 4chan und reddit vermuten einen Tausch Sex gegen Öffentlichkeitsarbeit. Die Diskussion darüber wird weitgehend unterdrückt und zensiert, der Streisand-Effekt setzt ein und aus den Diskussionen wird eine Revolte gegen die Journalisten und BoardMods, die steif und fest behaupten, es gäbe nichts zu sehen und die Kundschaft möge doch bitte einfach weiterspielen. Die ‚Kulturkritikerin‘ Anita Sarkeesian veröffentlicht mitten in diesem Chaos eine weitere Folge ihrer Serie ‚Tropes vs. Women in Video Games‘, in der traditionell das ‚Patriarchat‘ an allem schlechten in Videospielen schuld ist. Sie bewirkt dass auch sie ins Fadenkreuz der sowieso schon extrem gereizten Gamer gerät, eine Taktik die ihr schon bei ihrem ursprünglichen Kickstarter zu enormer Öffentlichkeit (und somit zu 160.000$) verholfen hat. Von beiden Seiten der Diskussion kommen Drohungen und Beleidigungen. Am 27. August 2014 gibt der Schauspieler Adam Baldwin (Full Metal Jacket, Firefly) dem Kind auf Twitter einen traditionellen amerikanischen Namen: #GamerGate.
Die Eskalation
Was folgt, würde ich selbst als den Kristallisationspunkt bezeichnen, den Punkt an dem aus einer Meute verärgerter Spieler und Leser eine offene Konsumentenrevolte wurde: Als hätten die Redakteure sich abgesprochen erscheinen im Laufe des 28. Augusts 2014 und in den folgenden Tagen nicht weniger als sechzehn Artikel auf führenden Gaming-Webseiten in den USA und Großbritannien. Sie haben alle eines gemeinsam: Sie verkünden das Ende des Begriffs ‚Gamer‘ wie wir ihn kennen und verstehen (eine Person die sich leidenschaftlich mit Computerspielen auseinandersetzt). Sie sprechen vom Tod einer Identität, jetzt da selbst Hausfrauen CandyCrush spielen ist ihrer Meinung nach jeder ein Gamer und es gibt keinen Grund mehr für die Industrie (und die Spielepresse) sich weiterhin an den Interessen ihrer Stammkundschaft zu orientieren.
Und diese Stammkunden kennen die Journalisten hinter den Artikeln offenbar ganz genau. Leigh Alexander (damals noch Redakteurin bei Gamasutra) schreibt:
‚Gamer‘ ist nicht nur ein überholtes demografisches Label, dass die meisten Menschen immer seltener zu verwenden bereit sind. Gamer sind Geschichte. Deshalb sind sie so wütend. Diese stumpfsinnigen Kackschleudern, diese jammernden Hyper-Konsumenten, diese kindischen Internet-Streithähne – sie sind nicht mein Publikum. Sie müssen auch nicht euer Publikum sein. Es gibt [in diesem Streit] keine Seite zu wählen. Es gibt keinen Grund für eine Debatte.
Der in vielen anderen Artikeln zitierte Essay ‚The End of Gamers‘ von Dan Golding geht noch einen Schritt weiter und beschreibt das Ende der Gamer-Identität wie die Folge eines lang angelegten Prozesses:
Die letzten Wochen stellen deshalb den Moment dar, in denen die Gamer ihre eigene Bedeutungslosigkeit begriffen haben. Dieser kalte Wind hat sich schon lange angekündigt und war der Rahmen für zunehmend bösartige Vorfälle entlang des Weges. Videospiele haben nun in der Populärkultur einen Einfluss der nur ohne Gamer möglich ist.
Er ist es auch, der den Gedanken, GamerGate habe Zoe Quinn und Anita Sarkeesian einzig und allein als ‚Ziele‘ gewählt weil sie Frauen sind, als Eckpunkt der Argumentation festlegt.
Die hysterischen Anfälle jener, die sich als das eingefleischte Herz der Gamerkultur sehen, können oberflächlich betrachtet als Kreuzzug für journalistische Integrität oder eine Verteidigung gegen Unwahrheiten gesehen werden. Zusammen mit einer Mischung aus Hass auf Frauen und etwas Bigotterie ist es in Wirklichkeit ein Versuch die Vorherrschaft zu wahren. Lassen wir uns nicht täuschen; Dies ist Machtausübung im Namen der (männlichen) Gamer-Orthodoxie – einer Orthodoxie die bereits begonnen hat zu verschwinden.
Die Spieler sind geschockt. In den letzten Jahren hatte es eine schleichende Entfremdung zwischen den Spielejournalisten im englischsprachigen Raum und ihrem Publikum gegeben, aber ein so offene Feindseligkeit, gespickt mit Beleidigungen und Stereotypen hatte die Community nicht erwartet. Auf beiden Seiten werden Gräben ausgehoben und Geschütze in Stellung gebracht. In den ihnen verbliebenen Foren planen die Gamer die Email-Kampagne ‚Disrespectful Nod‘, die sich zum Ziel gesetzt hat die Anzeigenkunden der beteiligten Webseiten darauf hinzuweisen, wie wenig konsumentenfreundlich sich deren Redakteure verhalten. Die Gegenseite ist damit beschäftigt den Konflikt endgültig mit dem Ansatz des intersektionellen Feminismus zu vermischen: Wer Probleme mit Frauen hat ist ergo auch Rassist, homophob, transphob und allgemein ‚auf der falschen Seite der Geschichte‘.
#GamerGate Unterstützer helfen maßgeblich dabei, 70.000$ für ein Projekt aufzutreiben, das es Frauen ermöglicht ihre Idee für ein Videospiel mit einem Team aus weiblichen Programmierern umzusetzen – die Gegenseite nennt so etwas ‚Weaponized Charity‘ – Wohltätigkeit als Waffe. Es gibt eine Bombendrohung gegen Anita Sarkeesian, die als weiterer Beweis für die Skrupellosigkeit der ‚Goobergobber‘ herhalten muss, auch wenn die Polizei in Utah sie als ’nicht glaubwürdig‘ bezeichnet und es keine beweisbare Verbindung zum Hashtag gibt. Frauen, Minderheiten und Gamer aus dem LGBTQ-Spektrum (Lesbian Gay Trans Queer) rufen #NotYourShield ins Leben, um zu zeigen, dass auch sie Gamer sind und sich von den Journalisten nicht totschweigen oder eben als Schutzschild missbrauchen lassen wollen. Die Gegenseite nennt sie ‚Sockenpuppen‘ und versucht selbst Fotobeweise wegzudiskutieren. Zoe Quinn muss nach eigenen Angaben das Land verlassen um der Bedrohung durch gewaltbereite Gamer zu entgehen, von Oktober bis Jahresende ‚flieht‘ sie nach Europa. Wie sie es bereits im August 2014, einen Monat vor GamerGate angekündigt hatte. Die Feministin C.H. Sommers schlägt sich auf die Seite der Gamer und wird prompt als ‚Vergewaltigungsverharmloserin‘ und ‚Konservative‘ (offenbar ein schlimmes Schimpfwort in progressiven Kreisen) bezeichnet. Die Krimiserie ‚Law & Order: SVU‘ verarbeitet die Kontroverse zu einem reißerischen Spektakel in dem IceT sein letztes bisschen Würde verliert – die Medien berichten als wäre es ein Tatsachenbericht. Anita Sarkeesian verknüpft ‚toxische Maskulinität‘, eine Schulschießerei mit Toten und #GamerGate – niemand in der Presse scheint es zu wagen dieser merkwürdigen Verquickung zu widersprechen, die direkt aus dem Mund von Jack Thompson stammen könnte. Der ehemalige Rechtsanwalt hatte in den Neunzigern versucht, gewalttätige Spiele vom Markt zu klagen um ‚die Kinder‘ zu schützen .
Trotz aller Widersprüche im Auftreten ihrer Gegner, trotz ihrer offensichtlich totalitären Ansätze bleiben die Medien den Unterstützern der Konsumentenrevolte weitgehend verschlossen. In Deutschland schreiben die Medien, wenn das Thema überhaupt aufgegriffen wird, zumeist hemmungslos bei den amerikanischen Kollegen ab, scheinbar ohne auch nur einen Finger für die Recherche krumm zu machen. Andre Peschke von Gamestar konstatiert, GamerGate ‚drifte in den Wahnsinn ab‘, die ZDF heute Redaktion titelt zur Gamescom ‚Mach mir ein Sandwich, Schlampe‚, die TAZ sieht ‚misogyne Trolle, die verbal Amok laufen‘ am Werk und kriegt so auch noch schnell das Klischee vom Amok laufenden Gamer unter. Darüber das eine ganze Anzahl der Seiten, die wegen nicht ganz sauberer journalistischer Praktiken ins Gerede gekommen waren (unter anderem kam heraus, dass sich Journalisten und Indie-Entwickler gegenseitig finanziell unterstützten) ihre Ethikrichtlinien geändert haben, habe ich hierzulande kein Wort gelesen.
Es geht um mehr als Spiele
In meinen Augen ist #GamerGate eine Konsumentenrevolte, die sich gegen eine Presse richtet, die für ideologische Fleißkärtchen ihr eigenes Publikum verraten hat und gegen die feindliche Übernahme ihrer Subkultur durch progressive, reiche, weiße Mittelschichtkids, die intersektionalen Feminismus, die Segnungen der Genderforschung und Identitätspolitik unter ständigem Verweis auf das ‚Patriarchat‘ und dessen ‚Privilegien‘ in der Spielekultur verankern wollen. Ganz abgesehen davon, dass weite Bereiche des amerikanischen Konzepts von schwarz und weiß überhaupt nicht auf europäische Verhältnisse übertragbar sind, mutet es grotesk an, wenn sich ein polnischer Entwickler von amerikanischen Journalisten belehren lassen muss, dass sein Rollenspiel dringend Menschen mit schwarzer Hautfarbe braucht. Und das #GamerGate-Unterstützer Frauen hassen oder sie nicht ‚in ihrem Hobby haben wollen‘ beißt sich mit der Tatsache, dass eine Menge Frauen Unterstützer des Hashtags sind, auch wenn die Progressiven natürlich sofort ‚internalisierten Frauenhass‘ bei den bedauernswerten Geschöpfen diagnostizieren (oder sie gleich rassistisch beleidigen). Sollte #GamerGate wirklich eine Hasskampagne sein, machen sie ihre Sache nicht wirklich gut.
Diese selbstgerechten, selbsternannten Weltverbesserer, von den Unterstützern des Hashtags ‚Social Justice Warriors‘ oder kurz ‚SJW‘ (‚Krieger für soziale Gerechtigkeit‘, im Deutschen von der Bedeutung her vergleichbar mit ‚Salonmarxisten‘) genannt, haben schon eine ganze Reihe Subkulturen heimgesucht. Wie ein Heuschreckenschwarm stürzen sie sich auf eine Idee, die viele Menschen anspricht und beginnen die Umstände für jeden, der nicht genau ihrer Meinung ist unerträglich zu machen. Haben sie die Moderaten erst einmal rausgedrängt, folgt die vollständige Übernahme der Bewegung. Leider ist es in den seltensten Fällen gelungen, die so geschaffene Zombie-Kultur am Leben zu halten, traurige Beispiele sind die Occupy-Wallstreet-Bewegung (ist zwar Satire aber die Vertreter von Occupy sind echt) und hierzulande die Piratenpartei. Die Videospieler haben sich nicht überrumpeln lassen und leisten Widerstand, frei nach dem Vorbild eines kleinen, gallischen Dorfes. Und ich hoffe, dass dieses Beispiel anderen Bereichen der Gesellschaft Mut macht, gegen diese neuen Puritaner aufzustehen und sich den Spaß am Leben und an der Kunst nicht verderben zu lassen.