Das Titelbild nimmt ja schon vorweg, wer meinen persönlichen Höhepunkt bei SPJAirplay gesetzt hat, obwohl er nicht auf der Sprecherliste stand. Aber eins nach dem anderen. In den zwei vorhergehenden Artikeln habe ich mich bemüht, den Inhalt der beiden Panels komprimiert und sinngemäß wiederzugeben, in diesem möchte ich darüber sprechen, was meiner Meinung nach erreicht bzw. nicht erreicht wurde.
10/10, would conference again?
Die erste Hälfte der Konferenz hat mir deutlich besser gefallen als der Nachmittag. Die Diskussion hatte mehr Substanz und der Moderator war weniger rigide, was wahrscheinlich an der klareren Struktur des Panels lag. Fünf Verdachtsfälle aus dem Bereich journalistische Ethik sollten abgearbeitet und von den Experten beurteilt werden. Das es nur drei Fälle wurden und das der wohl interessanteste – die sogenannte ‚GameJournosPro‘-Gruppe, eine geschlossene Online-Gemeinschaft in der viele von #GamerGates Gegnern unter den Spielejournalisten organisiert waren – nicht zur Sprache kam, ist der sehr knappen Zeitplanung geschuldet. Zwei Stunden waren für das komplexe Thema wohl einfach zu wenig.
Das es für zwei der ausgeführten Fälle kein abschließendes Urteil gab, laste ich dem Moderator und Organisator Michael Koretzky an, hier hätte er deutliche Statements vom neutralen Panel verlangen sollen. Mit Mark Ceb als Zyniker, Ashe Schow als Sympathieträgerin und Allum Bokhari als distinguiertem Gentleman hat #GamerGate würdige Repräsentanten gehabt, die beiden neutralen Journalisten Ren La Forme und Lynn Walsh schienen am Anfang fast desinteressiert und haben es mit der ‚Unvoreingenommenheit‘ (Lynn Walsh gab an, sich im Vorfeld mit Absicht nicht über #GamerGate informiert zu haben) vielleicht etwas übertrieben.
Was habe ich also gelernt? ‚Richtige‘ Journalisten verachten „Gawker“. Walsh sagte sogar, sie würde Berichte von „Gaffer“ (so die deutsche Übersetzung) sicher nicht für ihre Arbeiten zitieren. Das sieht düster für 98% aller Presseorgane aus, die bisher über #GamerGate berichtet haben, die Boulevard-Website und ihre Unterseiten (Kotaku) tauchen immer wieder in den Quellen auf. Wahrscheinlich arbeiten bei den Wiederkäuern einfach keine echten Journalisten. Ein Ombudsmann oder eine Publikation die den Computerspiele-Sektor der Medien beobachtet, wäre auch nach meiner Sicht ein Schritt in die richtige Richtung. Ein „Watchgeek“ sozusagen.
Die ethischen Bedenken von den Unterstützern des Hashtags waren, soweit man das an den vorgestellten Beispielen festmachen kann, durchaus berechtigt und die Reaktion der Medien entsprach nicht dem Standard, zu dem die SPJ ihre Mitglieder ermuntert. Außerdem hat Walsh festgestellt, dass sie die Reaktion von #GamerGate auf die ethischen Verfehlungen durchaus für angemessen hält. Diese Feststellungen allein waren eigentlich schon mehr, als viele Unterstützer von #GamerGate vor der Konferenz erwartet hatten, besonders skeptische Geister hatten gar vor einer ‚Falle‘ der SPJ gewarnt.
Die Ausrufezeichen haben im Morgenpanel aber meiner Meinung nach nicht die Vertreter von #GamerGate gesetzt, so zufrieden ich auch mit der Leistung jedes einzelnen war. Unter den Podiumsteilnehmern hat für mich der Entwickler Derek Smart den wichtigsten Satz gesagt:
„Das hier wird nie aufhören, wenn die Journalisten nicht aufhören Spieler – und speziell ‚GamerGate – als Hassgrupe zu bezeichnen. Das sage ich seit dem ersten Tag, das ist ein Rohekrepierer.
Ich als Spieler und Spiele-Entwickler habe es damals nicht geglaubt und glaube es heute nicht, ich werde niemals glauben, dass es bei #GamerGate jemals um Beschimpfungen und Frauenhass ging.“
Aber den insgesamt besten Auftritt der Konferenz hatte wohl Paolo Munoz (s. Titelbild), ein bekanntes Gesicht unter #GamerGate-Unterstützern, der im Publikum saß und sich für eine Zuschauer-Anmerkung gemeldet hatte. Seine flammende Rede gegen „Gawker“ und für die Anonymität zum Schutz von Familien und Freunden der Aktivisten hat mit Sicherheit für einige Gänsehaut im Publikum gesorgt.
„Gawker handelt nicht nur unethisch, sie sind bereit über Leichen zu gehen“
Weniger Ego ist mehr Debatte
Das zweite Panel hat mich dann eher negativ überrascht. C.H. Sommers, Cathy Young und Milo Yiannopoulos hatten die #GG-Teilnehmer der Morgenrunde ersetzt und hielten ihre einführenden Monologe, während Koretzkys Gesicht immer länger wurde. Es war sehr schnell klar, das der Moderator kein Interesse an geschichtlichen Fakten zur Konsumentenrevolte hatte während die Vortragenden ein Fundament für ihre Vorschläge zum Thema „Wie sollten die Mainstream-Medien mit amorphen Internet-Bewegungen umgehen?“ legen wollten.
Insgesamt war mir Milo Yiannopoulos ein wenig zu selbstgefällig (was er zwischendurch auch zugab, nur um es im nächsten Atemzug wieder zu vergessen) und wirkte mehr an seiner eigenen Außenwirkung interessiert, als am Thema. Sein wissendes Nicken sobald Summers oder Young sprachen und sein Grinsen bei besonders gelungenen Passagen ihrer Vorträge ließ in mir den Verdacht aufkeimen, dass er zumindest für C.H. Summers als Ghostwriter fungiert hat.
Mir hat auch die Art missfallen, in der Cathy Young von Walsh und Koretzky beinahe über die Neutralität ihres Artikels auf reason.com ‚verhört‘ wurde. Vielleicht hatte Walsh einfach zu wenig Einblick in die Materie, aber zu der Zeit, zu der Youngs Artikel erschienen ist, gab es für 99 Artikel aus der „Hassgruppe“- Ecke einen, der ihren Standpunkt einnahm. In so einem Fall ist ein Bericht der „nur“ die Gegenseite einer Diskussion beleuchtet, meiner Meinung nach, nicht nur ethisch einwandfrei, sondern bitter nötige Journalistenpflicht.
Am Nachmittag habe ich vor allem gelernt, das Kommunikation rund um GamerGate mit „Uneingeweihten“ fast unmöglich sein kann. Weil Koretzky keine langatmigen Erklärungen zulassen wollte und sich zwischenzeitlich mehr mit Milo in den Haaren hatte als konstruktiv beizutragen oder zu moderieren, war es kaum möglich, Walsh oder LaForme zu erklären, warum sie als Journalisten #GamerGate überhaupt recherchieren sollten. Hier hätte Koretzky für das Nachmittagspanel vielleicht Journalisten einladen sollen, die eine grundlegende Vorstellung vom Thema haben, um eine fruchtbare Diskussion wahrscheinlicher zu machen.
Koretzkys Versuch, Feminismus, Ideologie und die Vergangenheit aus dem Panel herauszuhalten kann ich andererseits verstehen. Auch wenn viele Unterstützer des Hashtags sich negativ über seine diesbezüglichen Unterbrechungen geäußert haben, denke ich verstanden zu haben, was er versucht hat: Hätten Yiannopoulos, Young und Summers noch weiter Monologe über ideologische Konflikte gehalten (was durchaus in ihr Fachgebiet fallen würde), wäre es für die zahlreichen Kritiker der Konferenz ein leichtes gewesen, diese zu entwerten: „SPJAirplay war nichts außer den üblichen Geschichten über böse Frauen und SJWs“. Und sie hätten, anders als sonst, nicht einmal lügen müssen.
Was ich vor allem aus dem Panel mitgenommen habe ist die Idee von Koretzky, eine Art „Pressekorps“ aufzustellen. Leute, die #GamerGate unterstützen und bereit sind direkt und überprüfbar mit Journalisten zu sprechen. Das können „E-Prominente“ wie Sargon oder Vee („Jöörrrnalists!“) sein oder Menschen wie Munoz oder Oliver Campbell, die sich als so etwas wie die „#GamerGate-Philosophen“ etabliert haben. Menschen bei denen Lynn Walsh „einen Namen und ein Gesicht“ vor sich hat. Natürlich dürfte eine solche Funktion keine Führerschaft oder einen Alleinvertretungsanspruch bedeuten und die entsprechenden Personen sollten von der Sorte sein, die das auch versteht. Sonst muss wieder irgendwer die Spaghetti aufputzen.
Leider nahm die Veranstaltung, wie berichtet, ein abruptes Ende und die Zuschauer werden vielleicht nie erfahren, was das Ziel war, auf das zu Koretzky die Diskussion zu steuern schien oder ob es dieses Ziel überhaupt gab. Am Anfang hatte er explizit gesagt, es gebe kein Drehbuch.
Nach der Evakuierung organisierte Derek Smart einen Live-Stream über Periscope (hier gibt es die Aufzeichnung), in dem der Zuschauer verfolgen konnte, wie die Konferenz-Teilnehmer vor dem Gebäude andere anwesende Journalisten (die selber an anderen Veranstaltungen parallel zu Airplay teilgenommen hatten), über den #Hashtag aufklärten. Derek Smart und die anderen Teilnehmer waren nach der Bombendrohung plötzlich auch für die Lokalmedien interessant und Smart merkte an, das in jedem Interview die erste Frage die gleiche sei: „War die Bombendrohung von #GamerGate?“. Leider gibt es immer noch kein zufriedenstellendes Tonmaterial von der improvisierten Fortsetzung der Konferenz im Hof eines leerstehenden Hauses, die verfügbare Aufzeichnung ist eher fragmentarisch.
Aber auch so, mit kleinen Kritikpunkten an Einzelpersonen und der etwas zu freien Form des zweiten Teils sowie dem vorzeitigen Ende ist mein Fazit immer noch positiv. #GamerGate hat dem Mythos, es sei eine Gruppe frauenverachtender, gefährlicher Neandertaler eine tiefe Wunde zugefügt. Und wie heißt es so schön: „Was blutet, das kann man auch töten!“
Informativer Zusammenschnitt der Konferenz (Englisch) von LeoPirate
Die deutsche Presse hat, wie leider zu erwarten, so gut wie nicht über die Konferenz berichtet, einzig SWR3 hat eine Meldung gebracht, von der ich im ersten Moment ob der fast neutral zu nennenden Haltung begeistert war (Nach einem Jahr reichen mir offensichtlich schon Kleinigkeiten, um mich zu freuen). Leider hat mich dann jemand gebeten, mal auf die Links zu klicken und da waren wieder all die üblichen Vorurteile, Fehlinformationen und Lügen. Seufz.
Die eigentlich klar gegen #GamerGate positionierte amerikanische Seite „Polygon“ hat ebenfalls einen überraschend neutralen Artikel über die Konferenz und die Bombendrohung geschrieben. Das gab jede Menge Kritik von „E-Prominenten“ und führte schließlich dazu, das die Redaktion die Kommentare zum Artikel geschlossen hat, die Beleidigungen hatten überhand genommen. Wenn man so drüber schaut, waren es eher keine #GamerGate-Befürworter, von denen die Angriffe kamen.
Derek Smarts Blogeintrag über seine Erfahrungen auf der Konferenz ist absolut lesenswert (Englisch).
Die Beiträge von Milo Yiannopoulos und Christina H. Sommers sind in Textform verfügbar und enthalten auch die Passagen, die auf Grund der fehlenden Zeit während der Konferenz nicht zum Einsatz kamen (Englisch).
HINWEIS: Ich habe nachträglich einen Link zu Derek Smarts Periscope-Stream eingefügt und Fehler verbessert.
Inzwischen gibt es vollständige Transkripte der Panels: Morgen Nachmittag (Englisch) – Danke an Tim Daniels, der sich die Mühe gemacht hat!