Dieses Interview führte im englischen Original Andrew Otton für TechRaptor
gamergateblog.de bedankt sich bei TechRaptor für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung dieser Übersetzung.
Gamergate und die Spieleindustrie
Zuallererst möchte ich mich persönlich bei Daniel Vávra dafür bedanken, dass er Techraptor die Gelegenheit zu diesem Interview gegeben hat. Für diejenigen unter den Lesern, die ihn nicht kennen: Daniel Vávra ist ein Spieldesigner und Autor der seit ungefähr fünfzehn Jahren in der Spieleindustrie aktiv ist. Sein erstes großes Projekt als Autor und Regisseur ist Mafia: The City of Lost Heaven von 2002. Auch beim Nachfolger ‚Mafia II‘ arbeitet er am Script mit.
Heute kennen ihn die Meisten wahrscheinlich für die erfolgreiche Kickstarter-Kampagne zu seinem neuesten Projekt: Kingdom Come: Deliverance. Seitdem hat Kingdom Come: Deliverance eine Menge Aufmerksamkeit erregt, viele Leute verfolgen die Entwickler-Vlogs aufmerksam. Es ist das erste Spiel der Warhorse Studios, eines Entwicklers aus der Tschechischen Republik, dessen Mitbegründer Vavra ist.
Vávras Rolle scheint bisher die eines Sprachrohrs für Warhorse Studios zu sein, tritt er doch in den meisten Videos auf, die zu Kingdom Come: Deliverance erscheinen. Er wird weiterhin die Werbetrommel für das Spiel rühren, während das Studio auf einen Releasetermin im 4. Quartal 2015 hinarbeitet.
Jene Leser, die hoffen, dass es hier um Kingdom Come: Deliverance geht, muss ich leider enttäuschen. Daniel war in letzter Zeit auf Twitter ziemlich lautstark zum Thema GamerGate und den verwandten Problemen zu vernehmen und wir hier bei Techraptor waren an einem tiefer gehenden Einblick in seine Ansichten interessiert.
Auf Vávras Anfrage wurden mehrere kleine Änderungen zur Verbesserung der Verständlichkeit vorgenommen.
Eins noch: die Gedanken, die in diesem Interview zum Ausdruck kommen sind nicht zwangsläufig die Ansichten des Autors, von Techraptor, Warhorse Studios oder gamergateblog.de, sondern die des Interviewpartners.
Wenn du die Spieleindustrie heute mit der Zeit vergleichst, in der du an Mafia: The City of Lost Heaven (2002) gearbeitet hast, was ist der größte Unterschied? Ist es heute besser oder schlechter?
In der Industrie ist es heute viel besser. Wir können unabhängig arbeiten. Wir können unsere Spiele selber veröffentlichen, selbst auf den Konsolen. Wir können über soziale Netzwerke direkt mit unseren Fans sprechen. Es gibt neue Wege um die Entwicklung eines Projekts zu finanzieren. Das ist alles großartig und ideal für das Wachstum der Szene und mehr Spiele, die sich von der Masse abheben. Außerdem gibt es so viel mehr Kommunikationskanäle – soziale Medien, Youtuber, Blogger. In der guten alten Zeit war das Internet noch sehr klein, alle Macht lag bei gedruckten Magazinen und die Journalisten haben langweilige Fragen gestellt wie ‚Wie viele Waffen / Autos / Level werdet ihr haben?‘. Ich versuchte eine anspruchsvolle, erwachsene Geschichte erzählen und die meisten von ihnen wollten nur wissen, ob es möglich sein würde, Leute zu überfahren. Jetzt versuche ich ein erwachsenes, realistisches Spiel vor geschichtlichem Hintergrund zu machen und einige Leute fragen mich warum es in unserem Spiel keine weiblichen Ritter gibt.
Bei 2K Games warst du ein Teil einer großen Firma, jetzt bist du mit Warhorse Studios unabhängig. Gibt es nach deiner Meinung einen Unterschied im Umgang der Industrie mit unabhängigen Entwicklern im Gegensatz zu denen, die für größere Studios arbeiten?
Wenn du für einen großen Publisher arbeitest, tust du was dir gesagt wird. Es besteht nur eine verschwindend geringe Chance, dass du jemals an deinen eigenen Sachen arbeiten kannst. Und das ist total in Ordnung so. Für deine Loyalität bekommst du Geld und niemand zwingt dich zu bleiben. Wenn es dir nicht gefällt, kannst du gehen. Ich hab das gemacht, bin eine Menge Risiken eingegangen und habe gehofft, am Schluss in der Lage zu sein endlich das zu machen, was ich immer schon machen wollte. Aber auf einmal tauchen all diese Leute auf, die denken sie wüssten was gut für mich ist und die Welt beginnt mir und vielen anderen Entwicklern zu sagen, was wir machen sollten. Und von diesen Leuten bekomme ich überhaupt nichts dafür.
Ich bin im Kommunismus aufgewachsen, wo Comics als dekadente kapitalistische Propaganda verboten waren, Westernfilme zensiert wurden und jedes Buch, das im Verdacht stand, im Widerspruch zur sozialistischen Ideologie zu stehen, war ebenfalls tabu. Wenn man es wagte seine Gedanken laut auszusprechen, fand man sich im Knast wieder. Deshalb bin ich allergisch gegen Zensur im Namen welcher Ideologie auch immer. Die Straße zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Ich möchte all diesen Ideologen einen Rat geben – Wenn du etwas bestimmtes haben willst, dann sorge selbst dafür und alle werden zufrieden sein.
Wie steht es um die Repräsentation von Frauen in der Spieleindustrie? Nicht als Spielfiguren, sondern als Entwickler, Designer, usw.
Ich habe in der Vergangenheit mit vielen Frauen zusammengearbeitet. Zwei davon waren meine Chefs. Auch in unserem Team haben wir mehrere Frauen und ich hoffe sie fühlen sich wohl und werden behandelt wie jeder Andere auch. Wir haben eine sehr flache Hierarchie, jeder kann mich oder Martin fragen, falls es Probleme geben sollte. Bei Warhorse arbeiten sogar zwei verheiratete Paare und in der Vergangenheit habe ich in anderen Firmen diverse Eheschließungen unter Mitarbeitern mitbekommen. Wenn wir jemanden einstellen, bin ich einzig und allein an seinem Talent interessiert. Sonst nichts. Ich kann nicht für andere Firmen in den USA oder sonstwo sprechen, aber ich bezweifle, das es dort anders läuft.
Das Lustige ist, wenn du echte weibliche Entwickler wie Amy Hennig (bekannt durch ‚Uncharted‘) fragst, werden sie dir erzählen, dass sie nie irgendwelche Probleme hatten. Aber die Leute, die ständig über solche Probleme reden sind Journalisten und Blogger, die nie wirklich für eine Spielefirma gearbeitet haben.
Und am lustigsten ist, wenn du nachschaust, wie viele Frauen denn am Ende für diese Magazine arbeiten, welche die Spieleindustrie für angeblichen Sexismus kritisieren, wirst du herausfinden, dass es genauso ist wie bei den Spielefirmen: Frauen machen höchstens 10-20% aus. Polygon hat 21 Redakteure und nur 5 davon sind Frauen. Und wenn du dir die Leserschaft anschaust findest du 80% Männer. Was für ein sexistisches Magazin!
Ist Frauenfeindlichkeit ein Problem in der Spieleindustrie?
Definiere Industrie. Es gibt hunderte Millionen Menschen, die Spiele spielen, demnach ist es ziemlich wahrscheinlich das einige davon dumme Arschlöcher sind. Aber zu sagen, die Industrie habe ein Problem mit Misogynie [Hass auf Frauen], weil ein Idiot irgendwas auf Twitter geschrieben hat, ist absurd und ich bin der festen Überzeugung das es sich dabei um ein Ablenkungsmanöver handelt, damit sie nicht über das echte Problem hier reden müssen. Wenn dich jemand einer Sache beschuldigt, beschuldige deinen Gegner, eine noch viel schlimmeren Tat begangen zu haben. Wenn jemand hysterische, aggressive, manipulative Artikel schreibt, in denen er Leute als ‚basement neckbeard troll scum‘ (etwa: ‚Schlecht rasierter Trollabschaum aus dem Kellergeschoss‘) bezeichnet, sollte er wissen was auf ihn zukommt.
Ich bin im Internet viele, viele Male angegriffen worden, weil ich dazu tendiere, Sachen zu sagen, die Anderen missfallen, aber ich hatte nie den Drang, darüber in einem Magazin zu jammern und das Opfer zu spielen. Wenn die Sache ernst wird und jemand echt üble Scheiße anstellt, ist das Beste, was du tun kannst, die Polizei zu rufen und nicht darüber zu twittern.
Und es gibt da eine weitere wichtige Sache. Männliche Teenager machen einen großen Anteil der Gamer aus und diese tendieren aus ihrem Naturell heraus dazu Dummheiten zu machen, vorschnelle Schlüsse zu ziehen und Leute zu beleidigen. Also ist nicht die Industrie frauenfeindlich. Dumme Menschen sind frauenfeindlich.
Wir wissen, das GamerGate aus dem Gedanken ‚Der Gamer ist tot‘ entstanden ist. Offensichtlich ist es inzwischen darüber hinaus gewachsen. Was ist, deiner Meinung nach, das Endziel der GamerGate-Bewegung? Stimmst du ihnen zu?
Ich glaube nicht, dass es das ‚eine Ziel‘ gibt. Es sind einfach nur ein Haufen Leute die unzufrieden mit den Zuständen in der Spielepresse sind. Also werde ich über meine persönliche Motivation sprechen. Es hat mich zwei Jahre gekostet, eine Firma auf die Beine zu stellen. Wir waren mehrmals fast pleite. Ich glaube, was wir hier tun ist etwas, das vor uns noch niemand getan hat und wir geben wirklich alles um es so gut zu machen wie wir können – eine realistische, historisch akkurate Darstellung des europäischen Mittelalters mit einer erwachsenen Story.
Und dann nennt man uns rassistisch, weil es in unserem mittelalterlichen Böhmen keine Menschen mit anderer Hautfarbe gibt, wo es doch in unserem Land Bibelillustrationen gibt, welche die Königin von Saba zeigen (die 2000 Jahre vor unserem Spiel in Afrika gelebt haben soll). Und obendrauf werden wir dann noch als Sexisten bezeichnet, weil wir in unserer Finanzierungskampagne ein flexibles Ziel für die Implementierung eines weiblichen Charakters hatten. Als ob es nichts kosten würde eine neue Storyline zu schreiben und einzubauen. Und all das während das Spiel in einer frühen Entwicklungsphase ist und sie keine Ahnung von der eigentlichen Story des Spiels haben. Glaubst du, irgendjemand hätte Interesse daran, während einer Kampagne, bei der sein Überleben als Studio auf dem Spiel steht in solch absurde Diskussionen verwickelt zu werden?
Das ist vielen Entwicklern passiert. Über Assassins Creed gab es 5 verschiedene Artikel, die sich mit dem Fehlen eines weiblichen Charakters beschäftigt haben. Auf der Titelseite einer einzigen Spielewebsite. An einem Tag. Fünf! Nebeneinander. Und es gibt noch mehr: Der ‚Skandal‘ um das Cover von Far Cry 4, die Rassismus-Vorwürfe gegen ‚The Stanley Parable‘, Wildstar wurde Sexismus vorgeworfen, ‚God of War‘, ‚Hotline Miami‘, ‚Bioshock‘, ‚Divinity: Original Sin‘, Witcher…
Niemand wagt es jemals, sich zu wehren oder seine Kunst in Schutz zu nehmen, weil das bedeutet, dass ihm sofort Frauenfeindlichkeit / Rassismus / Homophobie / Sexismus vorgeworfen wird… und dann fällt dir auf, dass diese Leute, die ihre Tage damit verbringen, anderen Vorwürfe zu machen alle in schreckliche Interessenkonflikte verwickelt sind und ein sehr merkwürdiges Verständnis von Ethik haben. Hier schimpft ein Esel den anderen Langohr!
Glaubst du, dass die Korruptionsvorwürfe wirklich so tiefgehend sind, wie uns viele Leute weismachen wollen?
Ich weiß es nicht und es ist mir auch egal. Unser größtes Problem ist, dass es da eine Gruppe von Leuten gibt, die glauben sie wüßten, was richtig und was falsch ist. Sie haben einen Auftrag, die Welt zu einem besseren Ort zu machen und die Unterdrückten mit allen Mitteln zu beschützen. Es ist ihnen sogar egal, was die ‚Unterdrückten‘ denken. Sie zensieren jede Reaktion, die ihnen nicht passt. Sie versuchen Twitter zu zensieren. Sie glaube, sie wären etwas Besseres als der Rest der Leute. Das sie nicht in der Lage sind eine Diskussion zu führen oder stichhaltige Argumente anzuführen finde ich lustig. Hast du sie jemals in einer direkten Konfrontation mit ihren Gegnern gesehen? Nein? Hab mir schon gedacht. Alles was sie können ist andere Leute von der sicheren Seite ihres Zauns aus anzukläffen und das Opfer zu spielen, falls jemand zurück bellt.
Und sie werden niemals zufrieden sein. Hast du keinen schwulen Charakter in deinem Spiel, bist du homophob, hast du einen schwulen Charakter in deinem Spiel, bist du homophob, weil ihnen dein Charakter nicht gefällt. Sehen die Frauen in deinem Spiel gut aus, bist du sexistisch, sehen sie schlecht aus, bist du sexistisch, kannst du mit ihnen kämpfen, bist du frauenfeindlich, kannst du nicht mit ihnen kämpfen, benutzt du sie wie Objekte, gibt es in deinem Spiel keine Frauen, weil es einfach keinen richtigen Weg gibt, sie darzustellen, bist du frauenfeindlich.
Es ist eine Hexenjagd und sie beeinträchtigt meine künstlerische Freiheit.
In der letzen Woche warst du auf Twitter zu Thema GamerGate ziemlich aktiv. In einem Tweet sprichst du die Angst vieler Entwickler an, auf einer schwarzen Liste zu landen. Du hast auch erwähnt, das du deinen Ruf aufs Spiel setzt, indem du offen sprichst. [Anm. des Übersetzers: Das Interview erschien im Original am 14.09.2014]
Wenn du dir die moralischen Standards von einigen dieser Leute anschaust. Wenn du mitkriegst, wie sie respektierte Menschen mit anderen Ansichten als den ihren als ‚Faded crackheads, Shitlords und misogynistic basement neckbeards‘ [etwa: Abgehalfterte Crackjunkies, Herren der Scheiße und schlecht rasierte Frauenfeinde aus dem Untergeschoss] bezeichnen. Wenn du siehst, das Polygon, eine der größten Spieleseiten eine schwarze Liste von Leuten führt, mit denen sie keine Kommunikation wünschen, was würdest du erwarten? Viele Leute bleiben an der Oberfläche des Problems und bilden sich ihre Meinung anhand von hysterischen Reaktionen auf anonyme Drohungen, während es bei der Sache um etwas vollkommen anderes geht.
Ja, ich glaube, das einige Journalisten weder mich noch unser Spiel mögen werden. Ich glaube, manche Leute werden anfangen zu denken, dass ich Frauenhasser unterstütze, obwohl ich das absolut nicht tue. Ich werde vielleicht einige Freunde verlieren. Aber ich glaube, das es wichtig ist für Redefreiheit und künstlerische Freiheit einzutreten. Und ich glaube einige Journalisten haben die rote Linie überschritten und darüber sollte man sprechen.
Leigh Alexander schreibt für mehrere Mainstream-Publikationen, ist Redakteurin bei Gamasutra, führt gleichzeitig eine PR-Agentur und droht Menschen damit sie zu zerstören, denn ‚Sie ist ein Megaphon‘. Sie nennt Adam Baldwin ‚a washed up crackhead‘ [etwa: abgewrackter Crackjunkie}. WTF geht hier ab? Warum hat sie immer noch einen Job? Und die gleiche Person will uns über Ethik belehren und schreibt Artikel über kindische, Frauen hassende Trolle aus dem Keller? Jetzt mach aber mal einen Punkt.
Wird die GamerGate-Angelegenheit einen Effekt darauf haben, wie ihr euer kommendes Spiel, ‚Kingdom Come: Deliverance‘, angeht? Ihr könntet beispielsweise eine Figur verändern, die Story oder Teile der Spielwelt.
Nein. Schon bevor das Ganze anfing hatten wir eine starke, spielbare Frau. Wir haben homosexuelle Figuren im Spiel und es gibt verschiedene Minderheiten, denn alles, was ich will ist eine ernsthafte, starke Geschichte. Eine Geschichte, die ich schon seit Jahren erzählen will und es wird mir nicht im Traum einfallen, sie auf Druck von außen hin zu verändern.
Ich möchte mich noch einmal bei Daniel Vávra für dieses wunderbare Interview bedanken und wünsche ihm für die Arbeit an seinem neuesten Spiel nur das Beste!
This interview by Andrew Otton was originally published on TechRaptor
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