In dieser Artikelreihe beschäftige ich mich mit dem Artikel ‚A Guide to ending Gamers‘ (‚Eine Anleitung wie man das Ende der Gamer herbeiführt‘) von Devin Wilson. Wilsons Artikel, am 28. August 2014 auf Gamasutra erschienen, war Teil des Medienblitzkriegs mit dem Tenor ‚Gamer sollten nicht mehr die primäre Kundschaft der Spieleindustrie sein‘. 16 Artikel innerhalb von wenigen Tagen sollten das Ende der ‚hyperkapitalistischen‘ Gamerkultur besiegeln und Wilson (er arbeitet an seinem Doktor in Medienwissenschaften) wollte offensichtlich das Manifest für diesen Putsch schreiben.
Er arbeitet sich in achtzehn Punkten durch die ideologische Basis dieser feindlichen Übernahme und ich werde mich Punkt für Punkt (wenn auch nicht in Wilsons Reihenfolge) mit den Vorschlägen beschäftigen, die er seinen Kollegen in der Spieleindustrie macht. Weiter geht es heute mit Punkt 5: Der kritische Blick. Hier Wilsons Text:
5. Wir beobachten Spiele, die wir machen oder spielen, sehr viel aufmerksamer. Der Sexismus in Spielen ist weit verbreitet und toxisch. Der Rassismus in Spielen ist weit verbreitet und toxisch. Die Gewalt in Spielen ist weit verbreitet und toxisch. Auch wenn die Spielepresse ständig versucht, diese Tatsache zu leugnen, sieht es *in Wirklichkeit* so aus, dass gewalttätige Spiele uns gewalttätiger und weniger mitfühlend *machen*. Wenn dieser Zusammenhang immer wieder von Forschern vermutet wird und wir uns gleichzeitig beschweren, dass die übelsten Typen in unseren Communities zu aggressiv und zu wenig empathisch sind, sind wir dann nicht zum Teil selbst Schuld? Wir sind nur allzu bereit, Spiele zu machen und zu spielen, die diese Auswirkung auf Menschen haben. Sollten Sie glauben, davon nicht betroffen zu sein, machen sie leider einen Fehler und klingen damit nicht weniger lächerlich als Menschen, die von sich behaupten, Werbung habe keine Wirkung auf sie. (Übrigens: Auch Kinder spielen regelmäßig gewalttätige Spiele, denn unsere Kultur erwartet das von „echten Gamern“. Die Altersfreigaben der ESRB sind ziemlich nutzlos).
Sexismus, Rassismus, Gewalt – die Grundpfeiler der Videospiele-Industrie? Über den Gewaltanteil ließe sich sicher diskutieren, aber die meisten Konsumenten werden sich schwer tun, in der Mehrzahl der Videospielen Rassismus und Sexismus zu finden, den man ohne dabei zu lachen, als „toxisch“ bezeichnen könnte. Das Wort bedeutete ursprünglich „giftig“, sonst nichts – heute wird es von den Anhängern der „Neuen sozialen Gerechtigkeit“ für all das verwendet, was ihnen nicht gefällt. „Das ist toxisch“ klingt einfach auch viel wichtiger als „Das gefällt mir nicht“.
Und jetzt setzt Wilson zur großen Augenwischerei an: In einem Satz wischt er die Wissenschaftler beiseite, die in Studie um Studie keinen Zusammenhang zwischen Spielen und gesteigerter Aggression gefunden haben, gibt der Spielepresse die Mitschuld und hat im Kopf eines leicht beeinflussbaren Lesers bereits eine Verbindung zwischen Gewalt, Sexismus und Rassismus in Spielen geschaffen. Ohne es explizit auszusprechen sagt dieser Abschnitt: „Und was für Gewalt gilt, gilt selbstverständlich auch für Rassismus und Sexismus“ – ohne eine „weite Verbreitung“ dieser Dinge zu belegen.
Wer die Definitionen von Rassismus und Sexismus benutzt, die in den Wörterbüchern zu finden sind, dürfte verwundert den Kopf schütteln: Offen rassistische und sexistische Spiele existieren zwar, sind aber in den wenigsten Fällen dem Mainstream zuzuordnen. So wie es Pornographie und gedruckte Ausgaben von „Mein Kampf“ gibt, gibt es auch sexistische oder rassistische Spiele. In Film- und Literaturkritik würde allerdings niemand darauf kommen zu behaupten, diese extremen Beispiele wären entscheidend für die Bewertung des gesamten Mediums. Allerdings können wir davon ausgehen, das Wilson andere Definitionen für Rassismus und Sexismus nutzt als der durchschnittliche Leser: Rassismus ist für ihn bereits ein weißer Hauptcharakter, für den Sexismus-Vorwurf reicht ihm eine zu knapp bekleidete weibliche Spielfigur.
Aber werden Männer in Spielen nicht auch idealisiert dargestellt? Gibt es keine extra knapp bekleideten Muskelprotze, in denen heterosexuelle Spielerinnen oder homosexuelle Spieler Attribute wiederfinden, die sie als anziehend bezeichnen würden? Nein, sagen Devin Wilson und seine Freunde, es gibt keinen umgekehrten Sexismus, Sexismus hat eine Unterdrückungskomponente und Männer per se werden nicht unterdrückt. Deswegen seien Artikel wie „Der Ryu aus Streetfighter V ist der heißeste Ryu“ auch kein Beweis für die These, der ständig angeprangerte Sexismus existiere, weil alle Geschlechter für die aufreizende Darstellung schöner Körper in den Medien empfänglich sind. Patricia Hernandez schreibt in dem genannten Artikel:
Normalerweise sind wir ja bei Berichten über Vorbesteller-Prämien sehr vorsichtig, aber dieser neue Ryu ist einfach zu heiß um ihn nicht mit euch zu teilen. Ich schwöre, mein Twitterfeed ist im Moment voll mit Tonnen von Leuten, die beim Anblick des bärtigen Ryu das Sabbern kriegen.
Ach ja, es gibt noch andere Prämien. Allerdings sind sie nicht so gut aussehend wie der „waldarbeitersexuelle“ Ryu.
Verstehen Sie mich nicht falsch, lieber Leser, ich habe kein Problem mit weiblichen oder homosexuellen Spielern, die sich an der Darstellung eines attraktiven Charakters aus ihrem Beuteschema ergötzen. Ich habe ein Problem mit der Doppelmoral von Personen, die einerseits über einen völlig überzeichneten Charakter vergessen ihren Speichelfluss zu kontrollieren, während sie kein Problem haben, einen heterosexuellen männlichen Spieler für das gleiche Verhalten im Zusammenhang mit Lara Croft oder Bayonetta hasserfüllt als „creep“ zu bezeichnen. Manche Vertreter dieser Personengruppe, wie Anita Sarkeesian, behaupten sogar dieses Verhalten stehe stellvertretend für eine Anspruchshaltung gegenüber realen Frauen. Natürlich ohne handfeste Beweise oder Studien. Man stelle sich die Reaktionen der Berufsbetroffenen vor, wenn ein Mann die oben zitierten Zeilen über eine weibliche Figur geschrieben hätte.
Die meisten Menschen sind sich im Klaren darüber, dass die Idealbilder aus den Medien nicht real sind. Das ein Charakter in einem Buch oder Film zwar als Identifikationsfigur für eine bestimmte Anzahl Seiten oder Minuten dienen, Rückschlüsse auf die eigene Existenz aber nur indirekt zu ziehen sind, weil zwischen der künstlerischen Darstellung und der Realität noch klar erkennbare Schichten aus Erzähltechnik, Schminke, Kameraeinstellungen oder Abstraktion liegen. Wer solche Figuren ungefiltert als Vorbilder für das eigene Leben verwendet, hat kein Sexismusproblem, es fehlt eher an der Medienkompetenz. Und hier sehe ich das größere Problem: In einer Welt, in der die Grenzen zwischen Meinung und Berichterstattung immer weiter verschwimmen, können Demagogen wie Wilson ihre Meinung als Wahrheit verkünden und über ein Dutzend Websites wiederholen die kruden Theorien – nur das sie als Tatsachen präsentiert werden. Und der wenig medienkompetente Leser oder Journalist nimmt an, die als Meinung gestartete und als Berichterstattung gelandete Meldung entspreche der Wahrheit und verbreitet sie weiter: Alle Spiele sind sexistisch. Alles Spiele sind rassistisch. Alle Spiele sind gewalttätig. Und du musst auf all das hinweisen!
Ach ja, Wilsons Nachsatz über Kinder und Altersfreigaben: Wieder eine Frage der Medienkompetenz, in diesem Fall die der Erziehungsberechtigten. Wenn Devin Wilson einem Kind eine Flasche Schnaps gibt, wird die Gesellschaft ihm oder dem Schnaps die Schuld geben? Ein lausiger Fall von „Denkt denn niemand an die armen Kinder?“, einer gern genutzten Taktik, um Fragen zu welchem Thema auch immer negativ aufzuladen. Wilson nutzt offenbar gerne Taktiken aus dem kleinen Handbuch für Populisten und Demagogen. Das macht ihn in den Augen des aufmerksamen Lesers nicht gerade glaubhafter.
Das abschließende Urteil spricht heute Frank Zappa:
Schlechte Fakten ergeben schlechte Gesetze und Leute, die schlechte Gesetze machen, sind meiner Auffassung nach gefährlicher als Songschreiber, die in ihren Songs die Sexualität feiern.
Im nächsten Teil befasse ich mich mit Punkt 10: Wir denken immer daran, dass wir keine neuen Sachen kaufen müssen.