In dieser Artikelreihe beschäftige ich mich mit dem Artikel ‚A Guide to ending Gamers‘ (‚Eine Anleitung wie man das Ende der Gamer herbeiführt‘) von Devin Wilson. Wilsons Artikel, am 28. August 2014 auf Gamasutra erschienen, war Teil des Medienblitzkriegs mit dem Tenor ‚Gamer sollten nicht mehr die primäre Kundschaft der Spieleindustrie sein‘. 16 Artikel innerhalb von wenigen Tagen sollten das Ende der ‚hyperkapitalistischen‘ Gamerkultur besiegeln und Wilson (er arbeitet an seinem Doktor in Medienwissenschaften) wollte offensichtlich das Manifest für diesen Putsch schreiben.

Er arbeitet sich in achtzehn Punkten durch die ideologische Basis dieser feindlichen Übernahme und ich werde mich Punkt für Punkt (wenn auch nicht in Wilsons Reihenfolge) mit den Vorschlägen beschäftigen, die er seinen Kollegen in der Spieleindustrie macht. Weiter geht es heute mit Punkt 14: Spiele waren immer Teil der Gesellschaft. Hier Wilsons Text:

14. Wir machen aus Gaming etwas, das mehr wie Freizeitgestaltung oder Lesen ist und weniger wie Religion. In der letzten Zeit sehen wir nicht etwa nur einen Mob aus ein paar frustrierten Hobbyisten, sondern eine Armee von Fanatikern, die sich auf einem heiligen Kreuzzug wähnt. Diese Leute haben dogmatische Ansichten dazu, was Spiele sein sollen (ohne Zweifel ein theologischer Ansatz) und sie legen im Bezug auf die Spiele-Industrie eine Hingabe an den Tag, die Mitt Romneys Kirchenbeiträge knauserig aussehen lässt. Vergesst die Beatles, Mario ist heute populärer als Jesus und jede Kritik an der Reihe wird von einigen Menschen als Blasphemie aufgenommen werden. Das kommt zum Teil daher, das wir Gaming behandeln, als sei es ein besonderer Club. Aber Spielen zu spielen ist nicht besonders oder ungewöhnlich. Das war es nie.

Ich weiß ja nicht, in welcher Zeit Devin Wilson aufgewachsen ist. Ich bin auch nicht, wie er, in den USA aufgewachsen. Aber die von Journalisten gern benutzte Floskel von den „Spielen, die in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind“ ist genauso falsch wie Wilsons Behauptung, Spielen sei nie eine ungewöhnliche Beschäftigung gewesen. Aus den Informationen auf seiner Website schließe ich, das er nicht viel älter als 30 sein dürfte, da er momentan dabei ist, seinen Doktor zu machen.  Wenn wir eine Geburt Anfang bis Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts annehmen, kann ich aus eigener Beobachtung seine Analyse nur schwer nachvollziehen. Ich habe den großen Teil der späten 90er und frühen Nuller-Jahre (auch berufsmäßig) in der deutschen Tabletop- und Rollenspielszene verbracht und kann aus dieser Erfahrung eine Behauptung wie „Spiele spielen war nie ungewöhnlich“ nicht bestätigen. Schon damals haben diese „besonderen“ Spiele, in die man deutlich mehr Zeit investieren musste, als in eine Runde Skat oder Siedler, nur einen Bruchteil der „Spieler“ erreicht.

Und diese Leute sind schon damals von ihren Zeitgenossen nicht gerade freundlich und offen behandelt worden. Neben den bekannten Satanismus- und Gewalt-Vorwürfen mussten sich die Spieler schon damals mit der gutmütigen Verachtung jener Menschen herumschlagen, die ihr Hobby einfach nicht verstanden haben. Schon zu dieser Zeit haben sich die meisten Kritiker in Deutschland nicht näher mit den Inhalten beschäftigt und sich ihre Meinung durch gegenseitiges Nachplappern und Abkupfern bei englischen Quellen gebildet. Wenn man sich jetzt die große Überschneidung zwischen der Rollenspiel/Tabletop-Szene und den Computerspielern ansieht, die man nicht zuletzt an der Popularität der Genres Rollenspiel und Strategie im Videospielebereich ablesen kann, verwundert es wenig, dass ein Teil der Leute es einfach leid ist, sich mit den immer gleichen, sinnlosen Vorwürfen auseinanderzusetzen und einfach in den Defensivmodus geht, wenn wieder mal jemand um die Ecke kommt, der meint ihnen erklären zu müssen, welche Defizite ihr Hobby hat.

"Religiöser" Gamer in aggressiver Defensivhaltung / Foto: gamergateblog.de

„Religiöser“ Gamer in aggressiver Defensivhaltung / Foto: gamergateblog.de

Der gleiche Aufschrei käme von Opernfreunden, wenn Tugendwächter Wagner-Aufführungen verhindern wollten, weil sie dessen Musik für seine Gedanken in Sippenhaft nehmen wollen. Oder Motorsport-Fans, wenn aus ökologischen Gründen mal wieder der Spritverbrauch einer Rennserie kritisiert wird. Das nennt man Leidenschaft, Mr. Wilson und genau hier liegt einer der dicksten Hunde der ganzen Debatte begraben: Leute wie Wilson oder Dan Golding scheinen für mich gar keine Leidenschaft für Spiele im herkömmlichen Sinn zu haben. Wie besonders erleuchtete Kunstfreunde, die ihre Nase über Menschen rümpfen, die Bilder von Leuten wie David Hockney „für Kunst halten“, wo das doch „purer Mainstream ist“, haben sie nur eine Leidenschaft: Dinge zu suchen, die sie besonders intellektuell, extrem progressiv und irgendwie tiefgründig erscheinen lassen. Nicht Dinge, die ihnen Spaß machen. Sie empfinden offenbar auch keine Leidenschaft für die Dinge selbst sondern definieren ihre Erfahrung über die ideologische Nützlichkeit eines Kunstwerks, dessen Erwähnung keinem anderen Zweck dient, als ihnen unter Gleichgesinnten zu mehr Geltung zu verhelfen. Und wie Peter Sellers im abschließenden Urteil bestätigen wird: Kritiker, die sich selbst mehr lieben, als das Medium, über das sie schreiben, so dass der eigentliche Gegenstand der Betrachtung gegenüber der eigenen Ideologie in den Hintergrund tritt, sollten sich einen anderen Job suchen.

Auch die Formulierung „wir behandeln Gaming wie einen besonderen Club“ ist ein äußerst zweischneidiges Schwert, suggeriert sie doch, Gaming sei in irgendeiner Weise abhängig von einer Beurteilung von außen, was bei Subkulturen eigentlich nie der Fall ist, und auch, das Wilson sich nie als Teil dieser Gaming-Szene gesehen hat. Warum also sollte sein Wort für irgendeinen Spieler mehr Gewicht haben, als das eines Menschen, dessen Leidenschaft für Spiele aus Äußerungen und Lebenslauf klar ablesbar sind? Um noch einmal den Kunst-Vergleich zu bemühen: Wenn mir jemand von vorneherein sagt, das er z.B. Hockney ablehnt, weil den einfach auch zu viele „Unwissende“ mögen, gibt es für mich eigentlich keinen Grund, seinen weiteren Ausführungen zum Thema Kunst noch große Beachtung zu schenken. Das hat nichts mit Theologie zu tun, sondern mit Menschenkenntnis. Und ja, Gaming ist ein „besonderer Club“. Ein Club, der Jeden aufnimmt, der eine gewisse Leidenschaft für Spiele zeigt, egal welche Hautfarbe, welches Geschlecht oder welche Religion die Person hat.

 

Das abschließende Urteil spricht heute Peter Sellers, (Der rosarote Panther, Der Partyschreck, Willkommen, Mr. Chance):

„Kritiken sollten von Kritikern geschrieben werden. Jeder Kritiker sollte ausgebildet sein und etwas Liebe für das Medium empfinden, das er diskutiert. Heute sieht es aus, als reiche ein Schnellkurs als Klatschreporter.“

Im nächsten Teil befasse ich mich mit Punkt 12: „Spiele sind hochpolitisch!“.