In dieser Artikelreihe beschäftige ich mich mit dem Artikel ‚A Guide to ending Gamers‘ (‚Eine Anleitung wie man das Ende der Gamer herbeiführt‘) von Devin Wilson. Wilsons Artikel, am 28. August 2014 auf Gamasutra erschienen, war Teil des Medienblitzkriegs mit dem Tenor ‚Gamer sollten nicht mehr die primäre Kundschaft der Spieleindustrie sein‘. 16 Artikel innerhalb von wenigen Tagen sollten das Ende der ‚hyperkapitalistischen‘ Gamerkultur besiegeln und Wilson (er arbeitet an seinem Doktor in Medienwissenschaften) wollte offensichtlich das Manifest für diesen Putsch schreiben.

Er arbeitet sich in achtzehn Punkten durch die ideologische Basis dieser feindlichen Übernahme und ich werde mich Punkt für Punkt (wenn auch nicht in Wilsons Reihenfolge) mit den Vorschlägen beschäftigen, die er seinen Kollegen in der Spieleindustrie macht. Weiter geht es heute mit Punkt 10: Kapitalismus. Hier Wilsons Text:

10. Wir denken immer daran, das wir keine neuen Dinge kaufen müssen, damit wir Spiele rechtmäßig zu schätzen wissen. Wir spielen die alten Spiele, bis sie all ihre Geheimnisse preisgegeben haben und dann spielen wir sie noch etwas länger. Wir erteilen der impliziten Idee, Spiele seien Wegwerfprodukte, eine Absage. Wir sezieren die nahe und die ferne Vergangenheit der Spielekultur (und alles dazwischen) anstatt ständig in der kakophonischen, glitschigen und überwältigenden Gegenwart (und Zukunft) herumzuhampeln.

Bei diesem Punkt fehlen mir einmal mehr die Worte. Aus irgendeinem Grund hat Devin Wilson in seinem Hirn eine Verbindung zwischen Konsum und Verderben geschaffen, die ihn offensichtlich blind für jeden rationalen Vergleich macht. Welche Kunstform hat sich im Verlauf der Geschichte weiterentwickelt, indem sie stehengeblieben ist? Sicher haben die Künstler den Renaissance den Rückgriff auf die Antike in den Mittelpunkt ihres Schaffens gestellt, aber Michelangelos David ist keine pure Kopie einer antiken Statue, sondern eine subtile Weiterentwicklung. Und hätte die Florentiner Wollwebergilde nicht dafür gezahlt, wäre sie wohl nicht entstanden. Was Wilson in seinem Manifest ausblendet ist die einfache Tatsache, dass Künstler genauso ein Dach über dem Kopf, Nahrung, Werkzeuge und Rohstoffe für ihre Kunst brauchen wie jeder andere arbeitende Mensch. Ich bin mir sicher, dass seine Lösung für dieses Problem entweder Patreon-Unterstützung oder eine Art staatlicher Kulturfonds wären. Abgesehen davon, dass es sich bei diesen Lösungen nur um andere Zahlungsarten handeln würde (das Geld müssten ja immer noch Konsumenten oder Steuerzahler aufbringen), missfällt mir die Idee einer zentralen Kulturförderung – ich kann mir nur schlecht vorstellen das Pink Floyd oder Andy Warhol zu ihrer Zeit behördliche Unterstützung bekommen (oder angenommen) hätten.

Wilson schlägt also vor, sich nur noch mit alten Spielen zu beschäftigen. Das kommt mir vor als würde ich heute den Kids erklären wollen, das sie lieber Tom Petty statt Kanye West hören sollen, früher war ja bekanntlich alles besser. Glücklicherweise wissen ich und die meisten anderen Menschen, wie sinnlos es ist, sich über Geschmack zu streiten oder jemand anderem die eigenen Vorlieben aufdrängen zu wollen. Wenn Mr. Wilson gerne alte Spiele spielt, nur zu, ich habe auch über hundert Spiele in meinem GoG-Account und jede Menge Spaß damit. Allerdings kann ich keine moralische Überlegenheit in Spielen wie Wing Commander II oder Dungeon Keeper erkennen und auch noch ältere Vertreter wie Night Driver oder Joust haben mir bisher nicht dazu verholfen, ein besserer Mensch zu werden – wahrscheinlich, weil ich Pong noch immer nicht alle Geheimnisse entlockt habe. Woher Wilson die Grundlage für seine Behauptung nimmt, Spiele seien für die meisten Menschen „Wegwerfprodukte“, erschließt sich mir genauso wenig. Vielleicht reflektiert er mit dieser Aussage auch nur über seine eigene Geringschätzung für Kulturformen, die er nicht versteht. Ich kenne auf jeden Fall niemanden, der seine Spiele wegwirft, wenn er sie durchgespielt hat.

Kulturlandschaft nach D. Wilson / Foto: gamergateblog.de

Kulturlandschaft nach D. Wilson / Foto: gamergateblog.de

Um die ganze Sinnlosigkeit von Wilsons Punkt 10 zu erkennen muss man eigentlich nur die entsprechenden Vergleiche zu anderen kulturellen Gebieten ziehen. Nach Wilsons Idee würden wir in einer Welt leben, die sich im 21. Jahrhundert immer noch ausschließlich mit Homer befasst, Stummfilme sieht, klassische Musik hört (natürlich nicht so neumodischen Kram wie Beethoven) und in der Malerei und Plastik immer noch exklusiv religiösen Zwecken dienen. Eine krude Mischung aus moralinsaurem Traditionalismus und kultureller Engstirnigkeit. Für mich hört sich das an wie jemand, der die Kunstfreiheit aufheben will, indem er den freien Markt durch ein Förderungsmodell ersetzt, in dem selbsternannte „geistige Eliten“ (sprich: Wilson und seine Freunde) als Torwächter und Zensoren fungieren können, eine Möglichkeit, die ihnen im aktuellen kulturellen „Markt“ verwehrt bleibt.

Was Wilson mit dem „Sezieren der nahen und fernen Vergangenheit der Spielekultur“ meint, kann ich nur mutmaßen. Nach der Lektüre der bisherigen Artikel wird es mir der geneigte Leser sicher nicht übel nehmen, wenn ich das Schlimmste annehme: Das es Wilson nicht um eine Sektion geht, sondern in Wahrheit um viele kleine Amputationen, oder um es mit den (leicht abgewandelten) Worten von Anita Sarkeesian zu sagen: „Alles ist sexistisch, alles ist homophob, alles ist rassistisch und du musste es alles rausschneiden“.

 

Das abschließende Urteil spricht heute Giovanni Guareschi, Autor von „Don Camillo und Peppone“:

„Das Endziel jeder Zensur ist es, nur solche Bücher zu erlauben, die ohnedies niemand liest.“

Im nächsten Teil befasse ich mich mit Punkt 14: „Wir fangen an, Spiele nicht religiös, sondern als Freizeitbeschäftigung zu betrachten“.