Dieser Artikel erschien zuerst in englischer Sprache auf deepfreeze.it und wird hier mit freundlicher Genehmigung veröffentlicht.

Den ersten Teil, „Zuckerbrot und Peitsche“, können Sie hier lesen.

Der Stock

2008 äußerte sich Dan Hsu erneut über das Thema des Drucks durch die Publisher und bemerkte, die Firmen hätten ihre Taktik verfeinert und reagierten nun schon auf „nicht-100%-positive“ Tests, indem sie den betreffenden Veröffentlichungen weitere Berichterstattung verweigerten: „Das ist schon eine interessante Ausgangslage: Ihr lasst uns die Spiele nicht sehen und wir können nichts Schlechtes über sie schreiben“. Er warf den Entwicklern von Mortal Kombat sowie Ubisoft und Sonys Sportabteilung vor, EGM auf eine schwarze Liste gesetzt zu haben.

Sony war 2007 auch an einem anrüchigen Versuch beteiligt, die Reputation von Kotaku zu untergraben. Die Seite veröffentlichte einen Bericht über das kommende „Playstation Home“-Programm, obwohl Sony ihnen gedroht hatte, dass die Veröffentlichung das „professionelle Verhältnis“ zum japanischen Konzern „untergraben könnte“ und wurde als Konsequenz von der weiteren Berichterstattung weitgehend ausgeschlossen. Kotaku veröffentlichte postwendend den Brief mit der Drohung, auf eine schwarze Liste gesetzt zu werden und der darauf folgende öffentliche Druck führte noch am gleichen Tag, an dem der erste Artikel erschienen war, zu einer gütlichen Einigung mit Sony.

Im Jahr 2011 wurde nur mit der schwarzen Liste gedroht: Eine PR-Firma, die im Auftrag von 2K Games arbeitete, drohte öffentlich mehreren Veröffentlichungen mit der Beendigung jeglicher Zusammenarbeit, weil diese mit ihrer Kritik am äußerst schlecht aufgenommenen Spiel Duke Nukem Forever „eine Grenze überschritten hätten“ . Wieder einmal wurde zurückgerudert, nachdem die Erpressung an die Öffentlichkeit gelangt war – die Firma schob schnell eine Entschuldigung nach.

In seinem Artikel über den Skandal nannte Ben Kuchera, damals noch bei ArsTechnica, schwarze Listen eine ziemlich weit verbreitete Praxis, eine Ansicht, die er heute noch vertritt, während im selben Jahr der freie Autor Richard Stanton ein (später zurückgezogenes) Interview gab, in dem er angab, die Werbekunden würden „alles kontrollieren“ und sein Arbeitgeber, Future Publishing, tue alles um jeden ihrer Wünsche zu erfüllen.  Als Gamesblog.fr im Jahr 2012 vom Publisher Activision auf eine schwarze Liste gesetzt wurde – was bedeutete, dass sie geplante Anzeigen strichen, bereits ausgesprochene Einladungen zurückzogen und aufhörten, die Seite mit Testmustern zu beliefern – ging es wieder um die Weigerung, eine Story zurückzuhalten, in diesem Fall über den Nachfolger von Call of Duty: Black Ops.

Aber das war keinesfalls der bekanntest Gaming-Skandal im Jahr 2012.

DoritosGate

Das beliebteste Symbolbild für den DoritosGate Skandal zeigt den Spielejournalist Geoff Keighley mit leerem Blick, umgeben von Doritos, Mountain Dew und Werbepostern.

Geoff Keighley mit seinen liebsten "Nahrungsmitteln" / Foto: deepfreeze.it

Geoff Keighley mit seinen liebsten „Nahrungsmitteln“ / Foto: deepfreeze.it

Ursprünglich stammt es aus einem Kommentar des Eurogamer-Kolumnisten Rab Florence, in dem es um den Mangel an ethischen Standards in der Spielepresse und deren allzu freundlichen Umgang mit den PR-Leuten der Branche ging.

In Florence‘ Artikel ging es hauptsächlich um die Games Media Awards, ein britisches Event, auf dem Preise von PR-Repräsentanten an Spielejournalisten vergeben werden. Während der Preisverleihung im Jahr 2012 gab es ein Gewinnspiel, bei dem Journalisten, die ein bestimmtes Spiel auf Twitter anpriesen, eine PS3 gewinnen konnten. Florence zitierte in seinem Artikel einige Spielejournalisten, welche die Verlosung gegen Vorwürfe der Bestechung in Schutz genommen hatten.  Er gab ihnen zwar nicht die Schuld an den Vorgängen, merkte aber an, dass diese Journalisten ihre eigene Glaubwürdigkeit untergraben hätten.

Die GMAs sollte es gar nicht geben. Im besten Falle sollte dieser Raum voller Leute sein, die sich in der Gegenwart der Anderen unwohl fühlen. Die PR-Leute sollten sich die Spiele-Journos anschauen und denken: „Diese Person macht meinen Job zu einer echten Herausforderung“. Warum sind sie alle dicke Freunde? Was zum Teufel ist hier los?

Rab Florence, Eurogamer.

 

 Lauren Wainwright, eine von Florence zitierte Journalistin, drohte daraufhin mit rechtlichen Schritten. Als Reaktion zensierte Eurogamer einen Teil von Florence‘ Artikel, was zu dessen Kündigung und einer heftigen Reaktion des Internets gegen Wainwright führte.

Wainwright, ein enthusiastischer Fan der Tomb Raider Spiele, wurde dabei ertappt das sie in ihrem Lebenslauf Hinweise auf eine Tätigkeit für Square Enix, den Publisher der Serie, verschleiert und über deren Spiele Testberichte geschrieben hatte. Dies hatte sie vorher stets bestritten. Sie hat inzwischen eingeräumt, die Drohung mit einem Gerichtsverfahren sei ein Fehler  gewesen.

Der Artikel von Rab Florence war der Funke, an dem sich eine riesige Diskussion entzündete, schon bevor die Zensur dem Fall zu noch mehr Aufmerksamkeit und Artikeln auf diversen Webseiten verhalf.

Nach seiner Meinung zur Berichterstattung über das Thema befragt, nannte Kotaku-Chefredakteur Stephen Totilo die ganze Affäre „unwichtig“ und den selben alten „müden Nonsens“. Nachdem er für seine Äußerungen scharf kritisiert wurde, entschuldigte er sich und schrieb einen Artikel über den schon oft gegenüber der Presse erhobenen Vorwurf, man „habe es sich mit der Spieleindustrie zu behaglich gemacht“. Darin gibt er zu, dass die Gepflogenheiten für Außenstehende so aussehen könnten als bewegten sie sich „an der Grenze zur Bestechung“.

Er kam zu dem Fazit, das „die Kritik an der Spielepresse so verbreitet sei, dass sie praktisch nur ein Hintergrundrauschen darstelle“ und das begründete Beschwerden „in einem Meer von Fehlinterpretationen“ untergingen. Er vertraue darauf, dass es neben den als Artikel getarnten Presseerklärungen auch eine Menge guter Berichterstattung gebe und sei voller Hoffnung, dass es in Zukunft noch mehr davon geben werde.

Der Ritt geht weiter

Der „gute Journalismus“ auf den Totilo gehofft hat, schafft es leider selbst nicht so oft in die Schlagzeilen, deswegen ist es schwer zu klären, ob sich nach DoritosGate etwas zum Besseren gewendet hat – auf der anderen Seite haben die Skandale seitdem nicht aufgehört.

Der Druck auf Journalisten ist weiterhin ein Problem, wie im Fall von Ubisoft, die jedem Journalisten, der die exklusive Vorschau ihres Spiels Watch Dogs im April 2014 besuchte, ein Nexus7-Tablet schenkten. Während der Spielejournalismus dabei ist, seinen Einfluss an YouTuber und „professionelle Konsumenten“ zu verlieren, richten die PR-Agenturen ihre Strategien entsprechend aus. Im Oktober 2014 bot eine PR-Firma im Auftrag von Warner Bros verschiedenen YouTubern an, bezahlte Videos über Shadow of Mordor zu machen – sie bekämen Vorab-Kopien des Spiels und eine finanzielle Zuwendung, müssten sich aber im Gegenzug dafür in einem Vertrag dazu verpflichten, das Spiel nur positiv zu besprechen und die Videos vorab der PR-Agentur zur Prüfung vorzulegen. Zur Veröffentlichung von Metal Gear Solid 5 im August 2015 fand wieder das gleiche luxuriöse „Bootcamp“ statt, das es schon zum Vorgänger gegeben hatte.

Auch die Angelegenheit mit der Werbung taucht immer wieder auf, oft begleitet ein wahrer Teppich aus Anzeigen die positive Besprechung eines Spiels. Im Fall von Mass Effect 3 führte das sogar dazu, dass ein Kritiker zum Angriff auf sein Publikum überging, weil es mit seiner Lobeshymne auf das Spiel nicht einverstanden war. Daraus resultierten Angriffe auf Gamer und ihre angebliche „Anspruchshaltung“ gegenüber der Industrie, die man auch als Versuche werten kann,  Werbekunden und Publishern  zu Diensten zu sein.

Zwei Jahre nach DoritosGate kamen Fälle von Interessenkonflikten ans Licht, die sich mehr um persönliche und finanzielle Verbindungen drehten als um Werbung und die Kritik an der Spielepresse erreichte so viele Menschen wie nie zuvor – durch eine andauernde Konsumentenrevolte, deren Unterstützer  sich um den Hashtag #GamerGate gesammelt haben.


Dieser Artikel erschien zuerst in englischer Sprache auf deepfreeze.it, einer Seite, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die ethischen Verfehlungen im Spielejournalismus zu katalogisieren.

gamergateblog.de dankt @bonegolem und dem Team von deepfreeze.it für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung dieser Übersetzung.

Grafik: deepfreeze.it