Dieser Artikel erschien zuerst in englischer Sprache auf deepfreeze.it und wird hier mit freundlicher Genehmigung veröffentlicht.

Spielepublikationen waren schon immer  werbefinanzierte Unternehmen – eine Finanzierungsform, die seit dem Übergang zum Onlinejournalismus zur einzigen nennenswerten Quelle für Einnahmen geworden ist. Durch die geringen Profitmargen und die Tatsache, dass der Großteil der Anzeigen von den Spiele-Publishern kommt, findet sich der Spielejournalismus in einer schwierigen Position wieder, in der die Interessen ihrer Werbekunden oft gegen die Interessen ihrer Leser stehen.

Das Werbebudget ist ein Druckmittel, das schon viele Publisher eingesetzt haben, um Spielejournalisten unter Druck zu setzen. Schon 1995 hat das Magazin Amiga Power das Problem angesprochen und festgestellt, das Spielkritiker durch PR-Mitarbeiter, die sie mit Geschenken beeinflussten, freundlich gestimmt würden und versuchten, Konflikte mit den Publishern zu vermeiden.

2005 stellte Dan Hsu, damals Chefredakteur von EGM, fest, dass ein nicht namentlich genanntes Konkurrenzunternehmen seine Titelseite im Tausch für Anzeigen regelrecht verkaufte. Er fügte hinzu, dass auch Veröffentlichungen seines Unternehmen von Publishern unter Druck gesetzt worden seien, das Spiel mitzuspielen – oder ihre Anzeigen zu verlieren.

Im Verlauf der Jahre kamen viele Versuche der Publisher ans Tageslicht, Journalisten milde zu stimmen, einzuschüchtern oder unter Druck zu setzen. Es entsteht der Eindruck, es gebe ein andauerndes Ringen hinter den Kulissen, bei dem Journalisten entweder von Publishern beeinflusst werden oder sich mit aller Kraft dagegen wehren müssen, um unabhängig zu bleiben.

Meine Industrie geht mir auf den Sack.

Die Auswahl der Cover-Motive bei einem unserer Mitbewerber kam mir irgendwie verdächtig vor, also habe ich einen Kontakt bei einem großen Spiele-Publisher danach gefragt. „Ja,“ sagte er, „wir kriegen vom betreffenden Magazin jedes Titelmotiv, das wir haben wollen. Wir müssen nur ein Gespräch mit dem Herausgeber führen, ein paar Anzeigen versprechen und anschließend klären wir noch die Details“. Also… kann man bei diesem Magazin eine Titelstory kaufen. Großartig.

Kürzlich hat sich ein PR-Mitarbeiter einer anderen Spielefirma darüber beschwert, dass über seine Firma auf einer gewissen, sehr wichtigen Website nicht berichtet wird, weil sie keine Anzeigen auf dieser Seite schalten. Damit ihre Spiele besprochen würden, müssten sie anfangen Geld auf der Seite auszugeben. Mehr Berichterstattung gegen Geld. Wundervoll.

Leider muss ich mir sowas nicht ausdenken.

Dan Hsu, 1UP.com

 

Die Wertung

Die Diskussion über den Druck, den Publisher auf Journalisten ausüben, beginnt im Normalfall bei den Wertungen – und die stehen seit den Anfängen der Nischenpresse unter Verdacht, nicht zuletzt wegen zahlreicher Skandale. Seit das Internet ihr Publikum vergrößert hat, wird den Redakteuren noch genauer auf die Finger geschaut.

Um die Wertungen geht es auch in den ältesten großen Skandalen der Spielegeschichte – wie den Vorgängen rund um Driver 3, ein Spiel das von den meisten ziemlich schlecht bewertet wurde, von einigen Veröffentlichungen von Future Publishing aber fast perfekte 9.0 Wertungen bekam. Sie verzichteten darauf, die vielen Bugs des Spiels anzusprechen und mussten hinterher zugeben, von Atari bevorzugt behandelt worden zu sein. Oder Donkey Konga von 2005, bei dem die Redaktion von Gamespy den Testbericht ohne Zustimmung des Autors änderte und eine schlechte 1.5/5 Wertung in eine deutlich bessere 3/5 änderten. Der wahrscheinlich bekannteste Skandal in der Spielebranche begann auch mit einem Testbericht: 2007 feuerte Gamespot seinen Chefredakteur Jeff Gerstmann,  nachdem dieser dem Spiel Kane & Lynch: Dead Men von Eidos in seinem Test eine niedrige Wertung gegeben hatte. Zur gleichen Zeit wurde das Spiel auf der Seite massiv beworben, was zu wilden Spekulationen über Druck durch den Publisher führte, die Gerstmann und Gamespot schließlich bestätigten, nachdem ihre vertraglich vereinbarte Schweigepflicht ausgelaufen war.

Mit regelmäßigen Skandalen wie diesen und manchmal unfreiwillig lächerlichen, auffälligen Unterschieden zwischen den Wertungen der journalistischen Kritiker und den Bewertungen der Fans ist die Presse jedesmal im Verdacht, bestechlich zu sein, wenn ein positiver Testbericht von einer massiven Anzeigenkampagne begleitet wird oder die Bewertung des Kritikers für ein Spiel eines Anzeigenkunden von der vorherrschenden Meinung abweicht und allzu freundlich ausfällt – oder ganz einfach Teile des Publikums beleidigt werden. Auch wenn die reine Masse solcher Vorfälle es wahrscheinlich macht, das einige dieser Vorkommnisse durchaus von den Werbekunden initiiert wurden, ist es ohne klare Beweise nicht möglich, berechtigte Anschuldigungen von Fehlalarmen zu unterscheiden.

Die Möhre

Mit den Testmustern der Publisher kommen regelmäßig zusätzliche Materialien, vom Werbegeschenk bis zu etwas extravaganteren Gegenständen. Im Presse-Kit von Halo 3 (2007) gab es zum Besipiel (unter anderem)  eine neue XBox 360 mit zwei Controllern und den Helm des Protagonisten als Dekorationsgegenstand. Auch 2001 bewies Microsoft erneut Großzügigkeit, als jeder teilnehmende Journalist auf der E3 Presse-Show des Konzerns eine kostenlose XBox 360 bekam.

Ich bin ein AAA-Producer […] es besteht also die Chance, das ich deinen Flug buche, und dein Zimmer, deine Getränke an der Bar, deine Besuche im Spa zahle und dein Zimmer vollstopfe mit HD-TVs, Alienware Rechnern und Razr-Keyboards mit Scheiß Neon-Unterboden-Beleuchtung. Nichts davon hat mit dem Spiel zu tun. Wir zahlen euch Schmiergeld und dafür erwarten wir nicht nur, das ihr Partei ergreift, wir setzen alles darauf. Und dann nehmen wir uns heraus, eure Unabhängigkeit einzufordern, wenn ihr schlecht über uns schreibt.

Alex Lifschitz, AAA-Producer Praktikant in der Produktionskoordination bei Activision 2009

Solche Geschenke scheinen eine weit verbreitete Gewohnheit zu sein. Ars Technica hat einige dieser Zuwendungen dokumentiert, unter den Highlights waren die Replik eines Schwertes aus einem Spiel oder eine Holzkiste voller Stofftiere, ein Scheck über 200 Dollar oder ein Schwerelosigkeits-Flug in einem Spezialflugzeug im Wert von etwa 5000 Dollar. Stepen Totilo von Kotaku kam 2012 auf das Thema zurück und merkte an, er müsse regelmäßig Geschenke von Publishern ablehnen oder weiter verschenken, unter anderem ein Mini-Surround-System, ein Schach-Set und eine Reise nach Disneyland. Totilo führte weiter aus, es sei schwierig, diese Geschenke auf ethisch korrekte Art und Weise los zu werden. Trotz der Bemühungen vieler Websites und Magazine finden Presse-Geschenke manchmal den Weg zu ebay, wo sie von ehemaligen Spielejournalisten angeboten werden. Gerne werden den Journalisten auch Reisen angeboten – 2010 gab es für die Tester von Call of Duty: Black Ops eine durchaus luxuriöse Unterbringung, und schon 2008 hatte Konami anlässlich der Veröffentlichung von Metal Gear Solid 4 Journalisten zu einem „Boot Camp“ nach Japan eingeladen.

 Zwei Wochen vor der Veröffentlichung des Spiels wurde ich von San Francisco nach LAX (Los Angeles) geflogen, von dort ging es mit dem Auto zum Flughafen von Santa Monica, wo ich einen Fliegerhelm mit meinem Gamertag überreicht bekam.

Dann setzte man mich in einen Helikopter um mich nach Ojai, Kalifornien zu fliegen, ein kleines Städtchen, etwa zwei Stunden von LA entfernt. Nach der Landung auf einem Feld wurde ich ins Ojai Valley Inn and Spa gefahren, wo ich drei Tage lang in einer schicken Suite wohnte. In der Suite gab es eine 360, eine Kopie des Spiels und einen schönen 3D-Fernseher, der an einem Surround-System hing. Es gab auch einen Bereich mit 30 Stationen, an denen die Tester sich den Multiplayer-Teil des Spiels ansehen konnten.

Ich bekam außerdem ein Headset von Madcatz im Call of Duty: Black Ops Design. Am Ende der Reise durfte ich den Pilotenhelm und das Headset behalten, alle Ausgaben für Flug, Unterbringung und Verpflegung hat Activision gezahlt.

Tae Kim, GamePro

Die Diskussionen über den Druck, dem Journalisten ausgesetzt sind kommen oft zu dem Schluss, es gebe zumindest keine offene Bestechung – wobei es korrekter wäre zu sagen, dass es diese nicht regelmäßig zu geben scheint. 2012 wurde das Indie Game Magazin dabei erwischt, dass die Redaktion 50 Dollar für einen Test verlangte – eine Praxis die möglicherweise eine Menge Inhalte beeinflusst hat und die nach der Aufdeckung zügig fallen gelassen wurde. Der für diese Entscheidung verantwortliche Mitarbeiter, Chris Newton schireb, er habe diese getroffen, weil bezahlte Testberichte innerhalb der Branche ein weit verbreitete Vorgehensweise seien, und offensichtlich meinte er das ernst, da mehrere kleinere Seiten sich offiziell dieser Praktiken bedienen. 2013 eröffnete die Crowdfunding-Plattform Patreon und wurde bald zu einer weiteren Quelle für finanzielle Interessenkonflikte.

Die Sporen

Zur gleichen Zeit, als Konami das „Boot Camp“ anbot, bat die Firma darum, die lange Installationsdauer und die vielen Cutscenes in den Tests zu Metal Gear Solid 4 nicht zu erwähnen – dazu muss man wissen, das die Gesamtlänge der Zwischensequenzen über acht Stunden beträgt, dass MGS 4 anscheinend zeitweise den Guiness-Weltrekord für die längste Cutscene gehalten hat und das die Installationszeiten sehr lang waren und zwischen den einzelnen Kapiteln immer wieder neu installiert werden musste. Stephen Totilo von Kotaku hat dieses Embargo Jahre später bestätigt, als er behauptete, seine Weigerung, dieser Vorgabe zu entsprechen, habe ihn ein Interview mit dem Erfinder der Reihe gekostet.

Im gleichen Jahr kam es zu einer ähnlichen Situation, die das Eidos-Spiel Tomb Raider Underworld betraf. Eine PR-Firma, die Eidos repräsentierte, bat Webseiten und Magazine die schlechten Tests erst ein paar Tage nach dem Erscheinen des Spiels zu veröffentlichen – und das, nachdem Eidos erst im Jahr davor in den oben erwähnten Gamespot-Skandal verwickelt gewesen war, den eine mittelmäßige Bewertung von Kane and Lynch: Dead Men  ins Rollen gebracht hatte.

Unbeeindruckt davon, das die Journalisten Eidos öffentlich gerügt hatten, wurde EA Norway 2011 dabei erwischt, wie sie Fragebögen an potentielle Tester von Battlefield 3 verschickten, deren Fragen so gestellt waren, dass man anhand der Antworten beurteilen konnte, ob der Betreffende dem Spiel eher eine hohe oder eine niedrige Wertung geben würde. Es folgte eine heftige Reaktion und EA gab an, die Versendung der Fragebögen sein ein Fall von „menschlichem Versagen“ gewesen.


 

Den zweiten und letzten Teil dieses Artikels, „Für eine Handvoll Doritos“, können Sie hier lesen.

Das Zitat von Alex Lifschitz hat gamergateblog.de zusätzlich eingefügt, da es die Industrie-Seite der Diskussion beleuchtet.

Dieser Artikel erschien zuerst in englischer Sprache auf deepfreeze.it, einer Seite, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die ethischen Verfehlungen im Spielejournalismus zu katalogisieren.

gamergateblog.de dankt @bonegolem und dem Team von deepfreeze.it für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung dieser Übersetzung.

Grafik: deepfreeze.it